Mark Zuckerbergs feuchter Traum

Die Trilogie «Black Out», «Hide Out» und «Time Out» von Andreas Eschbach ist eine spannende Geschichte über eine Welt, in der sich die Menschheit mittels Chip im Hirn direkt vernetzt und sich so natürlich auch «hackbar» macht.

Also gut, es gibt, nach dem und dem, hier noch einmal ein Eschbach-Multipack. In dem Fall ist es nahe liegend, nicht zwei, sondern gleich drei Bücher aufs Mal zu besprechen. Black Out (Amazon), Hide Out (Amazon) und Time Out (Amazon) bilden nämlich eine Trilogie mit einer durchgehenden Geschichte.

Diese Trilogie hier zu behandeln, ist quasi zwingend. Die Hauptfigur und der Held ist nämlich ein waschechter Nerd. Kidd ist der beste Hacker der Welt, der es mit einem Coup fast geschafft hätte, die Weltwirtschaft zum Zusammenbruch zu bringen und uns alle zu Milliardären zu machen.

Er hat alle Eigenschaften eines Nerds, inklusive einer nicht sehr sozialverträglichen Introvertiertheit, einer eher indifferenten Haltung der Körperhygiene gegenüber und einer bemerkenswerten Unerfahrenheit bezüglich physischer Interaktion mit dem anderen Geschlecht. Und wo das erwähnt ist, verrate ich wohl nicht zu viel, wenn ich sage, dass es sich um eine Jugendbuchserie handelt und darum auch aufknospende Liebe unverzichtbar ist. Eschbach beschreibt die aber mit so viel Einfühlungsvermögen, dass man annehmen muss, dass ihm zumindest einzelne der Persönlichkeitszüge von Kidd persönlich bekannt sind.

Also, Kidd ist mit seinem Vater daran mitschuldig, dass ein Phänomen namens Kohärenz über die Welt hereingebrochen ist. Sie besteht hardwareseitig aus einem Chip, der mit dem menschlichen Nervensystem interagieren kann und zu diesem Zweck dem Träger direkt implantiert wird. Das ermöglicht es, Nervenimpulse übers Mobilfunknetz zu übermitteln und die Gehirne der Chipbesitzer direkt zu verschalten. Dazu braucht es kein System, das menschliche Gedanken verstehen oder digitalisieren könnte. Es reicht, die Nervenimpulse zu übermitteln.

Blinde Menschen sollen wieder sehen können

Die ursprüngliche Idee war, blinden Menschen das Sehen wieder zu ermöglichen – quasi eine Prothese für nicht mehr funktionierende Augen. Das ist nahe liegend, weil Christophers, Heinz Raumacher, Prothesen aller Art herstellt. Doch wie in einem Thriller unvermeidlich gerät die Sache ausser Kontrolle.

Linus Meany, ein Kompagnon von Christoper, seinem Vater James und dem Chirug Dr. Connery, schnappt sich die Technik, implantiert sich den Chip und kommt mit seiner Hilfe zu Geld (natürlich so). Meany kommt auch auf den Gedanken, Menschen zu vernetzen – um so die Menschheit auf die nächste Stufe der Existenz zu katapultieren. Das ist, natürlich, die eines Superwesens, bei dem die Millionen beteiligter Menschen nur eine Art Drohnenstatus haben. Die Phase der Individualität ist in der Kohärenz natürlich vorbei.

Das führt zu einem spannenden Kampf des Nerds mit seinen Freunden gegen eine übermächtige Organisation, die ihre Augen und Ohren überall hat, die wächst und im dritten Teil ein Social-Media-Ungetüm in die Welt setzt, wie es der feuchte Traum Mark Zuckerbergs sein könnte.

Ohne zu viel zu verraten, empfehle ich dieses Buch sehr gerne. Als Nerd habe ich Christopher Kidds Abenteuer genossen. Die technischen Aspekte wie das Hacking überzeugen, und Eschbach hat sie gut austariert: Sie tragen die Handlung, wo das notwendig ist. Aber sie sind nicht so dominant, dass sich eine nichttechnikaffine Leserin oder ein digitalverweigernder Leser davon genervt fühlen müsste. Es gibt viele sympathische Nebenfiguren, allen voran Serenity und ihr Bruder Kyle, die beiden Kinder von Jeremiah Jones. Er ist eine Art Prophet der Fortschrittsverweigerer, der quasi als Kollateralschaden in die Aktivitäten der Kohärenz verwickelt wird und deswegen nicht herumkommt, den Widerstand gegen die Biochip-Revolutionäre zu organisieren¹.

Bei manchen Figuren könnte man eine klischeehafte Charakterisierung kritisieren. Madonna Two Eagles, das Indianermädchen im Camp der Widerständler, ist zwar adaptiert ans moderne Leben. Ihr Bruder George Angry Snakes und Vater John Two Eagles haben jedoch ein paar Medizinmanntricks drauf, die in Zeiten der Political Correctness als allzu stereotyp betrachtet werden könnten.

Mich stört das jedoch nicht und ich finde, dass man sich als Leser einen schlechten Dienst tut, wenn man derlei Dinge kritisiert. Denn wie Tina Uebel hier auf Zeit.de schreibt, führt das sonst dazu, dass eine weisse neunundvierzigjährige Schriftstellerin sonst nur noch über weisse neunundvierzigjährige Schriftstellerinnen schreiben kann – alle anderen Figuren wären sonst ein inakzeptables schriftstellerisches Risiko. (Eschbach ist übrigens auch dieser Meinung.)

Nicht so beklemmend wie Mordor

Wenn man kritisieren will, dann, dass die Kohärenz nicht so bedrückend und angsteinflössend wirkt, wie sie vielleicht wirken könnte – schliesslich ist Christopher im Lauf der Geschichte genauso von Feinden umzingelt wie Frodo und Sam in Mordor – doch so beklemmend ist die Stimmung nicht. Und eines ist unglaubwürdig: Nämlich, dass Christopher nicht früher auf die Idee kommt, sich die Netzwerkarchitektur der Kohärenz genauer anzusehen.

Natürlich; das ist eine Notwendigkeit fürs grosse Finale. Doch so, wie daran der Penta-Byte-Man beteiligt ist, hätte man das auch anders darstellen können: Es wäre dann kein Versehen gewesen, sondern hätte die Leistung, im Lifelog des befreundeten Hackers eine entscheidende Information aufzuspüren, eher noch aufgewertet.

Aber egal, das ist ein Detail. Was ich wirklich kritisiere, sind die hässlichen Cover der Bücher. Echt, ist der Arena-Verlag nicht in der Lage, einen einigermassen ansprechenden Umschlag zu gestalten? Ich hätte diese Bücher mit diesen Covern niemals gekauft, und zum Glück muss man sie auch nicht allzu oft ansehen, wenn man sich die Hörbücher anhört. (Zwischenbemerkung dazu: Die Lesung der Hörbücher von Stefan Kaminski gefällt mir ausgezeichnet.) Aber trotzdem würde da natürlich ein hübsches Bild vorne drauf gehören: Christopher und seine Eltern beim ersten Teil. Christopher, der von Madonna einen Kuss bekommt beim zweiten Teil. Christopher, Serenity und Giuseppe «Guy» Forti beim dritten Teil. Da wird sich doch ein Illustrator finden lassen, der das hübsch hinbekommt?

Als Bonus hier noch der Verweis auf Der Nobelpreis (Amazon). Das ist eine raffiniert konstruierte Geschichte um eine Verschwörung im Schwedischen Nobelpreiskomitee, in die eine Schweizer Pharmafirma mit dem klingenden Namen Rütlipharm verwickelt ist.

Sie zeichnet sich dadurch aus, dass mittendrin die erzählende Figur ausgetauscht wird, was einen neuen Blick auf den Ablauf der Ereignisse zulässt. Der Plot ist spannend und gut erzählt. Und wir lernen, dass Verschwörungen manchmal keine sind, selbst wenn es Leute gibt, die ihre Existenz scheinbar wasserdicht und lückenlos nachweisen. Schreibt euch das ins Stammbuch, ihr Verschwörungstheoretiker da draussen!

Fussnoten

1) Im ersten Teil erleben wir die Vorgeschichte: Wie die Kohärenz entstanden ist und Christophers Eltern ein Teil von ihr geworden sind – und Christopher zwangsweise assimiliert haben. Allerdings funktioniert sein Chip nicht richtig. Er flieht und gelangt ins Camp von Jeremiah Jones, wo er Dr. Connery trifft, der dort unter falschem Namen untergekommen ist. Der Widerstand formiert sich und man beschliesst, die Fabrik, in der die Chips hergestellt werden, in die Luft zu sprengen. Das klappt aber nicht, weil die Kohärenz damit gerechnet hat.

Im zweiten Teil geht der Kampf weiter. Die Widerständler versuchen, die Welt auf die Gefahr aufmerksam zu machen. Das soll mit einem Massenmail geschehen. In einem Probelauf kommt Christopher ziemlich in Bedrängnis – schafft es als Nebeneffekt aber, Madonna Two Eagles kleines selbstgedrehtes Musikvideo zum viralen Hit zu machen. Das Campf fliegt daraufhin auf, die Bewohner müssen fliehen und zerstreuen sich. Madonna versucht, beim Musikproduzenten Zack von Horn ihren Song zu einem echten Charthit zu machen. Doch das spielt der Kohärenz in die Arme und nur durch Glück gibt es ein Entkommen.

Im dritten Teil wird klar, dass es nichts bringt, die Öffentlichkeit zu informieren. Die Kohärenz macht das nämlich selbst und lanciert den Chip für die Masse. Der «Lifehook» ist der Biochip für den Massenmarkt und Teil von einer Art sozialen Netzwerks. Er übernimmt die Träger nicht sofort, sondern schleichend. Und es gelingt der Kohärenz auch, den amerikanischen Präsidenten zu vereinnahmen. Christopher erkennt, dass Jeremiah Jones sein eigenes Süppchen kocht und bei seinem Kampf den falschen Weg einschlägt. Er setzt sich von der Gruppe ab und kann Serenity dazu überreden, ihn zu begleiten.

Sie schaffen es, sich nach Europa schmuggeln zu lassen und treffen den Penta-Byte-Man. Zusammen finden sie heraus, weswegen die Kohärenz die Cloud-Backups des Penta-Byte-Man vernichtet hat und was für Informationen dadurch geschützt werden sollten – die Kohärenz hat dazu die Datencenter in die Luft gesprengt, in der die Backups gespeichert waren und das Jeremiah Jones in die Schuhe geschoben. Doch bevor sie dieses Wissen ausnutzen können, fällt Christopher der Kohärenz in die Hände. Er soll nun endgültig übernommen werden. Das klappt zum Glück nicht – und beim Showdown im Emergent Building, in der Zentrale der Kohärenz in London gelingt es Christopher, die zentrale Datenbank zu löschen, die für die Vernetzung aller Chipträger notwendig ist. Damit ist dieses Monstrum besiegt…

4 Kommentare zu «Mark Zuckerbergs feuchter Traum»

  1. Spannender Beitrag. Hast du gesehen, dass auch (fast) alle Bücher von Eschbach auf Spotify als Hörbuch verfübar sind? (Halt nur auf Deutsch.) Lg

  2. Danke für den Hinweis. Ich habe die Hörbücher (auf Deutsch) alle bei Audible gekauft. Es gibt die älteren dort für zwischen 5 und 10 Franken. Das ist mir der Komfort der Audible-App wert, denn bei Spotify werde ich gelegentlich beim Hören unterbrochen, weil es ein anderes Familienmitglied nach Musik verlangt. Und bei Spotify die vorherige Hörstelle wiederzufinden, kann schwierig sein. Und der dritte Grund: Ich hoffe, dass die zusätzlichen Einnahmen Eschbach dazu animieren, noch ganz viele Bücher zu schreiben. 😉

  3. Ah, Danke für die Antwort. Wegen den Lesezeichen hast du Recht, das stört mich bei Spotify auch ziemlich, da muss man halt mit Screenshots arbeiten o.ä. Bei Audible kaufe ich ab und zu (zusätzlich zum Abo) ein, läppert sich aber schnell mal, wenn man gerne Hörbücher hat… 😉

    Mir ist noch aufgefallen, dass ich von meinem Handy aus keine Kommentare auf deinen Blog schreiben kann (Huawei-Phone, läuft mit Android). Auch die, die bereits geschrieben sind, zeigt es mir nicht an? 🙁

    Lg

  4. Das ist die Schuld meines Blogs, nicht deines Handys. Das mobile Theme ist, wie ein Leser einmal bemerkte, «Scheisse». Und auch wenn ich es etwas moderater formuliert hätte, kann ich ihm nicht grundsätzlich widersprechen. Das liegt an dem in die Jahre gekommenen CMS. Das abzulösen ist ein Langzeitprojekt, das leider noch keinerlei Fortschritte gemacht hat. 😉

    Immerhin: Die Kommentare kommen an und werden auch veröffentlicht.

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