Ein Tröööt auf Mastodon!

Ist das der Anfang vom Ende für Twitter? Mastodon ist ein Mikrobloggingdienst, der dezentral funktioniert.

Der hochgeschätzte @xeophin hat uns allen neulich empfohlen, einen Massen-Exodus zu mastodon.social zu veranstalten. Grund ist Twitters erratisches Verhalten. Zuletzt sah man das, als die alten Benutzerschnittstellen abgeschaltet wurden. Das sorgt dafür, dass in Twitter-Clients von Drittherstellern weniger Funktionen zur Verfügung stehen. Da ich seit Jahr und Tag Tweetbot benutze, mindert das den Spass und den Nutzen von Twitter. (Wieder einmal.)

Wir flüchten vor Twitter ins Jungpleistozän und ersetzen den Vogel durch ein Rüsseltier. Oder: Hier wird mastodonisiert!

Mastodon? Der Name tönt auf alle Fälle schon mal toll. Das sind elefantenähnliche Rüsseltiere, die seit Ewigkeiten ausgestorben sind. Das gibt dem ganzen die notwendige ironische Brechung, und es wirft die Frage auf, wie man das Publizieren auf Mastodon denn nennen würde.

Kein Nachteil, dass es nach Masturbation klingt

Das ist bekanntlich wichtig, da viele der grossen Plattformen auch als Verb funktionieren: Google – googeln, Twitter – twittern. Bei Mastodon wäre das dann wahrscheinlich mastodonisieren. Dass das wie masturbieren klingt, scheint mir auch kein Nachteil zu sein.

Egal. Es handelt sich um einen Dienst, der frappant an Twitter erinnert. Die Oberfläche mit ihren diversen Spalten erinnert mich an Hootsuite.com (Aus allen Sozialmedia-Rohren schiessen). Die erste Spalte zeigt eine Suchspalte, in der man nach Leuten, Hashtags und Beiträgen suchen kann. Die Suche nach Switzerland ergibt, dass Greenpeace Schweiz einen Account hat. Nett: Bots werden hier gleich als Bots ausgezeichnet, sodass man (wenn die Deklaration denn stimmt), immer weiss, ob man es mit einem Menschen oder einer Maschine zu tun hat.

Es gibt gleich von Anfang an etwas zu sehen

Die zweite Spalte zeigt die Startseite, auf der direkt nach der Anmeldung bereits einige Postings zu finden sind. Woher die stammen, ist mir nicht klar – da ich noch niemandem folge, sollte die noch leer sein. Woher die stammen, wird klar, wenn man sein eigenes Profil aufruft. Dort sieht man, dass man standardmässig zwei Leuten folgt, nämlich @mastodon und @Eugen. @Eugen ist Eugen Rochko, der den Dienst entwickelt. Man kann beide Konten entfolgen, wenn man möchte. Dann muss man allerdings erst jemanden finden, dem man folgen könnte, damit sich etwas tut.

Die dritte Spalte enthält die Mitteilungen, und die ist natürlich wirklich leer. Hier erscheinen die Beiträge, die an einen gerichtet sind und dafür muss man als Neuling eine Interaktion in Angriff nehmen. Die vierte Spalte enthält Erste Schritte, wo man sich entweder für die lokale Zeitleiste oder die föderierte Zeitleiste entscheiden kann, oder aber für Direktnachrichten, Favoriten oder Listen. Da wirkt einiges vertraut und manches fremd. Wenn man sich fragt, was es mit den föderierten und den lokalen Zeitleisten auf sich hat, landet man beim Beitrag A beginner’s guide to Mastodon, the hot new open-source Twitter clone von Theverge:

Local is what it sounds like — a stream of posts from everyone posting publicly on that particular instance.
(…)
The federated timeline is a little more complicated. Mastodon developer Eugen Rochko likened federation as a whole to email. “It means that users are spread throughout different, independent communities, yet remain unified in their ability to interact with each other,” he wrote in a Medium post. You can send an Outlook email user a message from your Gmail account, even though you’re not using the same service — Mastodon works the same way.

Die lokale Zeitleiste umfasst die Nachrichten aller Nutzer, die sich öffentlich äussern. Die föderierte Zeitleiste ermöglicht es, mehrere Dienste zusammenzubinden. Das hat mit den Instances zu tun.

Mastodon ist dezentral

Denn, wie Wikipedia erklärt, handelt es sich um ein dezentrales Netzwerk. Man kann der Mastodon-Instanz beitreten, für die man, aus welchen Gründen auch immer, die grössten Sympathien hegt. Und man kann sogar selbst eine Mastodon-Instanz aufziehen. Das fördert, natürlich, die Unabhängigkeit und die Möglichkeit des Nutzers, seine persönlichen Daten zu schützen. Und es macht den Dienst (theoretisch) robuster gegen Zensur.

Das klingt spannend, und ich bin ein bisschen froh, dass nicht auch die Blockchain hier eingebaut wurde, so wie bei Dock.io (Die Zukunft oder ein zukünftiger Flop?) oder Steemit.com (Steemt die Kohle?): Die macht die Sache IMHO unübersichtlich und verlagert das Interesse auf ungesunde Weise in Richtung Kryptowährungen. (Siehe dazu auch Sieht so das Internet der Zukunft aus?)

Wie The Verge verrät, ist es nicht ganz einfach, Leute aufzuspüren:

If you’re trying to locate friends on other instances, or they’re trying to locate you, the easiest way is to include their @handle and their @instance.

Wegen der unterschiedlichen Instanzen sieht ein Benutzername etwas sperriger aus als ein Twitter-Name. In meinem Fall ist das @MrClicko@mastodon.social: Mein Benutzername (mein «Handle») ist wie bei Twitter @MrClicko. Da ich bei der «Mutter-Instanz» angemeldet bin, folgt die Adresse mastodon.social: Einleuchtend, trotzdem etwas umständlich.

Ob die Suche beispielsweise alle bekannten Instanzen abgrast oder ob man nur innerhalb der eigenen Instanz sucht, ist mir bei meinen ersten Gehversuchen auf Mastodon nicht klar geworden. Da muss man erst einmal Erfahrungen sammeln, damit man ein Gespür dafür bekommt, wie die Föderierung in der Praxis funktioniert. Das ist jedoch schwierig, weil erst wenige Leute den Dienst überhaupt nutzen.

Es bleibt offen, ob dieses Viech eine Zukunft hat

Bleibt die Frage, was das soll. Soziale Medien kommen und gehen – und bleiben tun doch die gleichen. Ob Mastodon eine Zukunft hat, lässt sich schwer abschätzen. Dass ich in der lokalen Zeitleiste nach meinem ersten Login gleich einer Nutzerin namens «Cum Cowgirl» begegnet bin, stimmt mich nicht gerade hoffnungsfroh. Andererseits sollte man das vielleicht auch nicht überbewerten. Jedenfalls wird die «gesamte föderierte Zeitleiste» in einem Tempo durchgeblättert, bei dem man knapp noch mitlesen kann. Und es ist doch auch ein schönes Gefühl, bei seinem Kurznachrichtendienst nichts zu verpassen.

Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass sich Mastodon sympathisch anfühlt. Es erinnert sehr an Twitter und hat viele bekannte Funktionen eingebaut. Die Möglichkeit, Hashtags stummzuschalten und Leute zu blockieren, gibt es vom Fleck weg. Schwierig scheint mir, Leute zu entdecken, denen man folgen könnte. Es gibt aber die Funktion Finde Freunde von Twitter – und die hat bei mir immerhin fünf Leute aufgespürt.

Will man denen folgen, zeigt sich die Haken und Ösen der Föderierung. Leuten, die in einer anderen Föderation zu Hause sind, kann man nicht ohne weiteres folgen. Bei @kleinheld heisst es zum Beispiel: «smetter hat ein Profil auf social.tchncs.de. Du kannst folgen oder interagieren, sofern du ein Konto irgendwo im Fediversum hast. Wenn nicht, kannst du dich hier anmelden.»

Hier wäre natürlich etwas Hilfe nicht verkehrt. Was ist ein «Fediversum»? Es scheint so, dass ich auch ein Konto bei social.tchncs.de haben müsste, um ihm folgen zu können. Das ist mir dann doch etwas zu viel Arbeit. Bei @seriouslyfab@social.lou.lt (er hier auf Twitter), erscheint nur eine Fehlermeldung, die besagt, die Verbindung sei nicht sicher. Lerne: Man kann seine Mastodon-Instanz auch falsch aufsetzen.

Das Twitter-Konto nicht gleich löschen

Fazit: Ich spüre den Pioniergeist, aber noch nicht den Drang, gleich mein Twitter-Konto zu löschen. Aber ich wünsche dem alten Rüsseltier alles Gute!

PS: Apps gibt es natürlich auch, zum Beispiel Tusky for Mastodon (für Android) oder Amaroq for Mastodon fürs iPhone.

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