ACDSee bietet Lightroom die Stirne

ACDSee ist ein alter Hase im Bildbearbeitungsgeschäft. Das merkt man diesem RAW-Entwickler an: Er strotzt vor Funktionen und ist reichlich unübersichtlich. Trotzdem: eine der besten Alternativen zu Lightroom.

Also, die Suche nach einem Lightroom-Ersatz geht in die nächste Runde. Nach dem Beitrag So einfach ist es nicht, gegen Adobe anzustinken hat sich Manuel wieder gemeldet und DxO PhotoLab sowie ACDSee ins Feld geführt. DxO PhotoLab ist mir auch schon begegnet, aber ich habe sie mir noch nie genauer angeschaut.

Und wie Manuel schreibt, fehle die Bildverwaltung. Die gehört aber mit dazu, wenn es darum geht, Lightroom abzulösen. Deswegen werde ich mir diese Software gerne ein anderes Mal ansehen, hier und jetzt aber ACDSee besprechen.

Enormer Funktionsumfang, gewöhnungsbedürftige Oberfläche. (Originalbild: David Bartus/Pexels, CC0)

Die Software gibt es schon seit ewig. Ich habe sie 2005 im Beitrag Per Autopilot zu schöneren Bildern für den Publisher besprochen. Damals waren die automatischen Bildverbesserungen noch Raketenwissenschaft – heute gibt es sie in Programmen, die auf Facebook beworben werden.

Doch ACDSee war schon 2005 ein Veteran: Wikipedia weiss, dass Version 1.0 1994 herausgekommen ist und «das Programm in den frühen Versionen zu den am weitesten verbreiteten seiner Art» gehörte. Ich weiss nicht, wann ich ihm zum ersten Mal begegnet bin – aber es gehört auf alle Fälle zu den Programmen, die es gefühlt schon immer gab.

Drei Varianten

ACDSee gibt es in drei Versionen Ultimate, Professional und Standard, plus in einer Mac-Version. Wenn es um die RAW-Entwicklung geht, muss man sich für Ultimate oder Professional entscheiden, Standard beherrscht nur die Bildverwaltung. Die Ultimate-Version kostet 172 Euro, wobei man sie vergünstigt für 85,95 Euro bekommt. Standard schlägt mit 115 Euro oder vergünstigt mit 62,95 Euro zu Buch.

Mir ist nicht ganz klar, was es mit den Vergünstigungen auf sich hat. Aber ich nehme an, das ist ein Dauerrabatt und der höhere Normalpreis ist nur dazu da anzuzeigen, dass die Software eigentlich mehr wert wäre.

Einen Vergleich der Funktionen sieht man jedenfalls hier, und da fällt auf, dass die Ultimate-Version exlusiv Ebenen und Masken bietet. Das ist nicht unbedingt nötig, wenn es um den Ersatz von Lightroom geht. Andererseits sind Ebenen eine praktische Angelegenheit, weswegen man vielleicht dennoch gleich zur Ultimate-Version greifen wollen würde.

Die Oberfläche strotzt vor Knöpfen und Befehlen

Die Oberfläche der Software ist in Schwarz gehalten, was für diese Art Software offenbar zum Erkennungszeichen gehört. Es ist für ein derartig lang am Markt befindliches Produkt nicht überraschend, dass die Oberfläche vor Funktionen und Symbolen strotzt und man sogleich die Ahnung hat, dass man hier auch nach längerer Arbeit immer mal wieder etwas Neues entdecken würde.

Ich nehme jedenfalls wohlwollend die Arbeitsbereiche für individuelle Anpassungen der Oberfläche, die Stapelverarbeitung für Dinge wie Drehen und Spiegeln, Grössenänderungen, Belichtungskorrektur und Profilkonvertierungen zur Kenntnis. Mit ihr kann man viele Bilder aufs Mal bearbeiten.

Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, den Zeitstempel der Bilder zu korrigieren. Das ist ein häufiges Problem, wenn man die Uhr der Kamera nicht richtig eingestellt hat. Es macht es extrem schwierig, Geodaten aus einem GPS-Logger hinzuzufügen, darum ist eine Korrekturfunktion wichtig. In Lightroom gibt es sie auch, in den anderen Alternativen habe ich sie bislang aber nicht entdeckt.

Erfreulich auch die durchdachte Ansicht für die Metadaten aus den Bereichen Exif und IPTC (sowie ACDSee Metadaten). Man kann hier Voreinstellungen festlegen, mehrere Bilder aufs Mal mit Beschreibungen versehen, auch Wertungen und Farbmarkierungen zuweisen – alles Dinge, die für den professionellen Umgang mit Bildern und für eine effiziente Triage notwendig sind.

Nebst dem Bereich Verwalten gibt es auch Fotos, Ansicht, Entwickeln und Bearbeiten. Plus 365 und Dashboard, auf die ich am Schluss eingehe.

Die chronologische Ansicht

Fotos sortiert die Bilder chronologisch. Sie werden nach Jahren gruppiert und man sieht, wie viele Aufnahmen es pro Zeitabschnitt gibt. Tippt man ein Jahr an, erfolgt die Aufschlüsselung nach Monaten, dann analog nach Tagen. Man kann die Auswahl filtern und ausgewählte Bilder im Modul Verwalten oder Entwickeln öffnen. Das macht einen zweckdienlichen Eindruck.

Die chronologische Ansicht aller Fotos im «Fotos»-Modul.

Das Öffnen eines Bildes im Entwicklungsmoduls geht zwei, drei Sekunden. Lightroom scheint hier ein kleines bisschen schneller zu sein, aber der Unterschied ist verkraftbar, zumal die Anzeige bei der Bearbeitung der Bilder sogar noch schneller reagiert als Lightroom – das ist bemerkenswert!

Die Entwicklungswerkzeuge stecken am linken Rand und machen einen etwas technoiden Eindruck – Lightroom wirkt übersichtlicher. Man muss beispielsweise erst merken, dass es vier Entwicklungsbereiche gibt. Bei Erstellen finden sich die Werkzeuge für Farbe und Belichtung, plus die Effekte; auf die ich gleich ausführlich eingehen werde. Bei Detail steuert man die Scharfzeichnung und korrigiert Bildrauschen, chromatische Aberrationen und Farbsäume. Man kann auch Hauttöne glätten lassen.

Nützlich – oder bloss unübersichtlich?

Bei Geometrie stecken die Werkzeuge zum Zuschneiden. Man korrigiert Verzeichnungen des Objektivs, Perspektivenfehler und man dreht und begradigt Aufnahmen. Bei Reparieren schliesslich gibt es den Reparatur- und Klonpinsel und das Instrument gegen die roten Augen.

Man kann nun darüber streiten, ob diese nochmalige Aufteilung wirklich hilfreich ist oder bloss die Oberfläche unübersichtlicher macht. Das ist sicherlich Geschmackssache. Auf mich wirkt es nicht so intuitiv wie die Lightroom-Ansicht – wobei dort die Werkeugleiste am rechten Rand zugegebenermassen sehr lang ausgefallen ist. Jedenfalls kann man sich auch daran gewöhnen, wie ACDSee die Sache handhabt.

Zurück zum Bereich Erstellen, der fürs Ausleben der künstlerischen Visionen natürlich der wichtigste ist. Es gibt hier ein Histogramm und Werkzeuge in den neun Bereichen Allgemein, Weissabgleich, Light EQ, Farb-EQ, Gradationskurven, Weichzeichner, Effekte, Teiltonung und Vignette nach Zuschneiden.

Unter Allgemein finden sich die Belichtung, Lichtaufhellung, Fülllicht, Kontrast, Sättigung, Lebendigkeit, Klarheit und Dunst entfernen (Dehaze). Das sind die Werkzeuge, mit denen viele Leute (ich eingeschlossen), ihren Bildern zuleibe rücken wollen würden. Die Qualität der Algorithmen ist in Ordnung – aber aus dem Bauch heraus scheint es mir, dass Photoshop Lightroom noch ein bisschen subtiler an die Sache herangeht.

Die Bildbearbeitungsalgorithmen sind gut – aber nicht so gut wie bei Adobe

Beim Regler Lebendigkeit scheint es mir, dass es bei ACDSee schneller geht, bis die Farben ins Unnatürliche abdriften. Aber um das genau zu sagen, müsste man einige Bilder in beiden Programmen sorgfältig bearbeiten und dann sehen, wo die besseren Resultate entstehen. (Dafür hat mir leider die Zeit gefehlt.)

Light EQ verändert die Belichtung in Schatten, Mitteltönen und bei den Lichtern. Farb-EQ verändert die Farben in einzelnen Farbbereichen, macht zum Beispiel Blau blauer oder Magenta mehr magentahaft. In der Teiltonung verändert man die Farbe und Sättigung von Lichter und Schatten und Vignette nach Zuschneiden sollte selbsterklärend sein.

Und last but not least findet man in den Effekten diverse Fotoeffekte wie Düster, Avery oder Noir, eine Verlaufsumsetzung, Farbüberlagerung, Körnung und Crossentwicklung.

Wie bei den anderen Programmen auch, kann man für jeden Regler Voreinstellungen abspeichern, die Einstellungen zurücksetzen und den Effekt ein- und ausschalten.

Teilbereiche korrigieren

Auch wichtig für einen Lightroom-Konkurrenten ist die Möglichkeit, Teilbereiche des Bildes nicht destruktiv zu korrigieren. ACDSee stellt dafür den linearen und radialen Verlauf, sowie einen Korrekturpinsel zur Verfügung.

Nachdem wir nun doch ziemlich beeindruckt sind, gibt es ja noch das Modul Bearbeiten. Es gibt hier teils nochmals ähnliche Werkzeuge wie im Entwickeln-Modus, teils neue Funktionen wie die Möglichkeit, Rahmen und Texte hinzuzufügen oder einen Tilt-Shift-Effekt einzurichten. Wenn man herausfinden möchte, was der Unterschied ist, dann erklärt das die Hilfe wie folgt:

Nach Abschluss aller Bildkorrekturen mit den nicht-destruktiven Werkzeugen im Entwicklungsmodus können Sie im Bearbeitungsmodus abschliessende Änderungen am Bild vornehmen. Sie können im Bearbeitungsmodus pixelbasierte Bearbeitungs-Werkzeuge wie die Rote-Augen-Verringerung, Spezialeffekte und viele andere Werkzeuge einsetzen und sie mit Auswahlen kombinieren, um Ihr Bild feinabzustimmen.

Das klingt so, als ob Entwickeln nicht desturktiv und Bearbeiten destruktiv arbeiten würde. Die Hilfe bestätigt das:

Wenn Sie ein Bild unter Entwickeln oder Bearbeiten verändern, bleibt das Original davon stets unberührt. Änderungen, die Sie vornehmen, werden in einer separaten Datei gespeichert, damit Sie jederzeit zum Original oder der entwickelten Version zurückkehren können.

Im Modus Entwickeln werden Änderungen als XMP-Datei gespeichert. Im Modus Bearbeiten wird bei RAW-Dateien eine Kopie in einem anderen Format angelegt. Bei anderen Dateiformaten verhält es sich wie folgt:

Wenn Sie ein Bild direkt im Bearbeitungsmodus öffnen und es speichern, wird das Originalbild im Ordner [Originale] von ACDSee gespeichert.

Wenn Sie ein Bild zuerst bearbeiten und dann in den Entwicklungsmodus wechseln, werden Sie von ACDSee darauf hingewiesen, dass Ihre Bearbeitungen dadurch verloren gehen. Sie können nicht auf ein Bild in Entwickeln zurückgreifen, wenn es nicht vor der Bearbeitung entwickelt wurde.

Das ist logisch, weil nicht-destruktive und destruktive Bearbeitungsmethoden quasi parallel benutzt werden können. Es ist aber auch etwas umständlich, und man sollte als Anwender den Unterschied unbedingt kennen.

Export ins Web – aber ohne die wichtigen Plattformen

Also, ich hatte noch Ausführungen zu den Modulen 365 und Dashboard versprochen.

  • Bei 365 kann man seine Bilder auf 365.acdsee.com hochladen. Das ist ein Sharingdienst, für den man allerdings noch ein Abo braucht. Das ist okay, aber ich fände es sinnvoll, wenn man an dieser Stelle auch 500px, Flickr und vielleicht sogar Facebook oder Instagram bedienen könnte. Es gibt allerdings den Menübereich Datei > Senden, der im Modul Verwalten Bilder an FTP, Flickr, Facebook, Flickr, Zenfolio und Smugmug überträgt.
  • Im Dashboard sieht man statistische Angaben inklusive Kuchen- und Balkendiagrammen zu seinen Kameras, den Dateitypen, der monatlichen Produktion und der Grösse des Katalogs und zur Datenbank. Das ist keine zwingende Funktion, aber eine aufschlussreiche Spielerei.
  • Und als ob das nicht genug wäre, gibt es auch noch das Nachrichtencenter mit Neuigkeiten zum Produkt und der Produktpalette.

Fazit: Uff, das ist ein ziemliches Monsterpaket, dieses ACDSee! Über 10’000 Zeichen nur für eine relativ oberflächliche Beschreibung dieser Software zeigt den Umfang.

Ich halte ACDSee für die bislang beste Alternative zu Lightroom, die ihr Geld allemal wert ist. Sie funktioniert ausreichend flott und der Funktionsumfang ist beeindruckend. Mir gefällt auch der Exportdialog, der sich ebenfalls an Lightroom zu orientieren scheint und auch Dinge wie umbenennen, Formatänderungen, Ausgabegrösse und Zielort spezifiziert. Man kann auch Voreinstellungen abspeichern, was ich als sehr hilfreich erlebt habe.

Die Oberfläche könnte aufgeräumter sein

Die Oberfläche ist im Vergleich zu Lightroom allerdings unordentlich bis chaotisch. Die Menüs als ein etwas altmodisches Element der Benutzerführung sind ACDSee (mutmasslich) wichtiger als bei Lightroom. Manche Dinge entdeckt man dort eher per Zufall, zum Beispiel die Kartendarstellung von Fotos mit Geotags via Extras > Karte. Viele Funktionen wie die Diashow (Extras > Diashow) sind in Lightroom eleganter und noch etwas detaillierter konfigurierbar.

Hat man so auch noch nicht gesehen: Eine Voransicht inklusive Metadaten im Kontextmenü des Windows-Explorers.

Ich habe jedoch keine Funktion entdeckt, die ich schmerzlich vermissen würde. (Allerdings zeigen sich solche Lücken meist erst, nachdem man einige Wochen oder Monate zufrieden mit einer neuen Software gearbeitet hat.) Es scheint keine Funktion für Fotobücher zu geben – aber das würde ich der Software nicht ankreiden.

Dinge wie die Stapelverarbeitung sind eine ACDSee-Exklusivität – und darum ist diese Software nicht einfach nur ein Lückenbüsser, sondern ein eigenständiges Produkt, das man nutzen kann, ohne Lightroom nachzutrauern.

One thought on “ACDSee bietet Lightroom die Stirne

  1. Vielen Dank für den ausführlichen und informativen Vergleich!

    Ich denke ich werde mir ACDSee mal genauer anschauen, wenn ich mit Lightroom 6 nicht mehr weiter komme. Die Kataloge lassen sich ja importieren (jedoch nicht die Entwicklungseinstellungen).

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