So einfach ist es nicht, gegen Adobe anzustinken

Gesetzt den Fall, man würde Lightroom in die Wüste schicken wollen: Welcher RAW-Entwickler wäre ein guter Ersatz? Erster Kandidat: ON1 Photo RAW, der überraschende Funktionen hat und Fotos auch von Onedrive und Dropbox importiert. Bei der Bearbeitung und dem Tempo bleibt Adobe überlegen.

Neulich ging es im Beitrag Auf die dunkle Seite wechseln? um die Lightroom-Alternative Darktable. In den Kommentaren hat mir Oliver das Programm ON1 Photo RAW zur Inspektion empfohlen.

Viele Schiebregler, wie man das von so einer Software erwartet.

Eine solche soll hier natürlich sofort erfolgen. Als Erstes fällt die Downloadgrösse auf: 1 GB für die Windows-Version, sogar 1,1 GB für die Mac-Variante. Muss das wirklich so riesig sein? Ich weiss, die Grösse von Softwareprogrammen ist für viele nicht wirklich ein Thema. Ich frage mich allerdings schon, ob in solchen Fällen wirklich jedes KB unverzichtbar ist. Aber gut, wenn die Software dafür umso umfangreicher ist?

ON1 Photo RAW 2018.5 heisst die Software mit vollem Namen und etwas unsinnigerweise: Was bedeutet 2018.5? Ist es die Mai-Ausgabe dieses Jahres? Wie auch immer. Die Oberfläche beim ersten Start erinnert sowohl an Lightroom als auch an Darktable: Sie ist in Schwarz gehalten. Es gibt Bedienfelder links und rechts. Und dazwischen ein Bereich für die Fotos, wo entweder viele Fotos als Raster angeordnet sind oder aber ein Foto in Gross für die Bearbeitung geöffnet werden kann.

Links gibt es die Instrumente fürs Navigieren durch die Datenbestände.

Auch die Cloud ist mit dabei

ON1 bietet nicht nur lokale Ablagen, sondern auch Webablagen wie Dropbox, Google Drive und OneDrive an. Man hat Zugriff auf die Alben, kann nach Farben und Sternmarkierungen filter und bei Tethered Shooting verbundene Kameas steuern. Und es gibt die Presets, Entwicklungsvorgaben, die man seinen Bildern schon an dieser Stelle zuweisen kann. Rechts bei Info finden sich die Exif- und IPTC-Metadaten.

Die Module werden bei ON1 Photo RAW am rechten Rand umgeschaltet: Nebst der Standardansicht Browse gibt es Develop, Effects, Layers und Resize. und es fällt auf, dass das Umschalten relativ träge vonstatten geht – auch da ist festzustellen, dass Lightroom die Nase vorn hat was Leistung und Arbeitsgeschwindigkeit angeht.

Das Modul Develop ist natürlich das, worauf es ankommt: Hier verpasst man seinen Bildern das Erscheinungsbild, und hier ist effizientes Arbeiten gefragt. Auch hier finden sich am linken Rand die Presets, die in 16 Kategorien (u.a. Architecture, Black & White, Cinematic, Color Film, Color Grading, Faded & Matte, Film, Haze Reduce, Hipster, Landscape, People, Sports, Urban und Weddings) sortiert sind. Diese Auswahl gefällt mir schon mal.

Die Simulation analogen Films

Unter Color Film werden bekannte analoge Filmmarken wie der Agfa Optioma 400 oder der Kodak Ektar 25 nachgebildet. Bei Starting Point finden sich zehn grundlegende Profile für Portrait, Nachtaufnahmen, Landschaften im Wald oder in der Wüste oder für Lebensmittel. Leider dauert es recht lange, wenn man sie anwendet, bis man das Resultat zu sehen bekommt – auch hier ist Lightroom deutlich flotter. Und ob diese Entwicklungsvorgaben der Weisheit letzter Schluss sind, darüber kann man geteilter Meinung sein: Die Portrait-Entwicklung ergibt ein für meinen Geschmack zu verwaschenes Resultat.

Bei den manuellen Anpassungen hat man Overall Settings und Local Adjustments zur Verfügung. Bei der ersten Kategorie, den Einstellungen fürs ganze Bild, stellt man Dinge wie Belichtung (Exposure), Kontrast, Lichtpunkte, Mitteltöne und Schatten ein. Mit Structure wählt man den Detailgrad, d.h. ob die feinen Muster deutlich hervortreten oder eher abgedämpft werden (der angehauchte Linsen-Effekt).

Bezüglich Farben stellt man Weisspunkt, Farbstich (Tint), Sättigung und Lebendigkeit (Vibrance) ein. Man kann Spitzlichter und Schatten entsättigen. Bei Details geht es ums Schärfen und um die Rauschreduzierung, die man mit sechs Reglern oder über die Voreinstellungen Normal, Tief und Hoch einstellen kann.

Schliesslich gibt es ein Modul für die Objektivkorrektur, mit der man Verzeichnungen, chromatische Aberrationen und Vignetierungen behebt.

Viele von Lightroom bekannte Werkzeuge

In lokalen Anpassungen wählt man mittels eines Pinsels oder eines Verlaufs die Grösse des Anpassungsbereichs und trifft dann die Vorgaben zu Farbe, Schärfe, Belichtung für den markierten Bereich. Am linken Rand hat man auch einen Klonstempel und einen Retuschepinsel zur Auswahl. Auch das kennt man von Lightroom.

Die vorgefertigten Module überzeugen nicht durchs Band. (Originalbild: David Bartus/Pexels, CC0)

Das Modul Effects erlaubt es, Filter hinzuzufügen. Zur Auswahl stehen Dinge wie Bleach Bypass, Unschärfe (Blur), Cross Process, Glow, Grunge, Lens Flare, Sonnenschein, Texturen, Vignetten oder Split Tone. Auf den ersten Moment ist nicht ganz klar, was der Unterschied zu den Presets ist.

Schaut man genauer hin, sieht man, dass diese Effekte teils aufwändiger als einfache Entwicklungsvorgaben sind und sich teils nur auf Bereiche des Bildes beziehen. Man kann die Filter über Einstellungen steuern und über die Blending Options (in der rechten oberen Ecke des Panels) auch mit unterschiedlichen Füllmethoden wie Multiplizieren, Abdunkeln oder negativ multiplizieren ausstatten.

Die Layers sind nicht zwingend

Im Layers-Modul kann man seine Fotos mit anderen Bildern als Zusatzebenen kombinieren. Diese Funktion hat sich mir nicht so richtig erschlossen – denn das wäre eher etwas, das ich in einer echten Bildbearbeitung und nicht in einem RAW-Entwicklungsprogramm erledigen wollen würde. Aber da kann man mutmasslich geteilter Ansicht sein. Es gibt eine recht beachtliche Anzahl von mitgelieferten Ebenen, die man für seine Bilder verwenden kann (was dann, zumindest teilweise, auch die Grösse des Downloads erklärt): Zum Beispiel schöne Himmel, Verläufe, Studio-Hintergründe, Mauern und Wände und Aussenansichten.

Bei Resize bringt man das Bild auf die gewünschte Grösse und die passende Schärfe. Hier ist auch die Möglichkeit zum Beschneiden versteckt. Das stört mich etwas, denn das Festlegen des Bildausschnitts ist zentral für die Bearbeitung und gehört für meinen Geschmack ins Develop-Modul. Man kann ein Bild auch drehen und beschneiden, doch dabei ist mir ON1 Photo RAW mehrfach abgestürzt.

Viele Möglichkeiten für die Ausgabe

Via Tiling ist es möglich, das Bild auf mehrere Dateien aufzuteilen und mit oder ohne Überlappung für die Ausgabe in Übergrösse zu präparieren Gallery Wrap erzeugt einen Effekt mit Spiegelungen an den Aussenrändern, wobei ich Sinn und Zweck dieser Funktion nicht so richtig erkennen mag. Wahrscheinlich geht es darum, das Bild so zu vergrössern, dass man es auf einen Rahmen aufziehen kann.

Fazit: Eine brauchbare Software, die in Sachen Funktionsumfang weit hinter Lightroom zurückfällt. Dinge wie Diashows und Fotobücher fehlen ganz und auch die Exportfunktionen sind im Vergleich zu Adobes Vorbild rudimentär. Es fällt auch auf, dass die Arbeitsweise nicht durchgängig nondestruktiv ist. Bei einigen Aktionen, zum Beispiel beim Beschneiden, mit Ebenen und dem Gallery Wrap, wird automatisch eine Kopie angelegt, wenn man das Modul verlässt – ich hätte lieber einen reinen RAW-Editor, der alle Änderungen konsequent und nichtdestruktiv an der Originaldatei vornimmt.

Die Algorithmen kommen nicht an die von Adobe gewohnte Qualität heran

Am wenigsten überzeugt haben mich die Arbeitsgeschwindigkeit und die Bildvorschau: Die bearbeiteten Fotos wirken unscharf und leicht verwaschen; und generell sagt mir mein Bauchgefühl, dass die Algorithmen nicht auf dem Level sind, das man sich von Adobe gewöhnt ist. Mir fehlt ausserdem eine Bearbeitungsmöglichkeit über die Gradationskurve.

Man kann die Entwicklungseinstellungen über den Sync-Befehl von einem Bild auf andere übertragen. Anders als bei Lightroom gibt es dabei aber keine Möglichkeit zu steuern, welche Parameter übernommen werden sollen.

Mit den Einschränkungen würde ich eher zu Darktable denn zu ON1 Photo RAW raten. Aber das ist bis zu einem gewissen Grad auch Geschmackssache. Man kann ON1 Photo RAW kaufen, und zwar zu einem fairen Preis: 120 US-Dollar ist für eine solche Software völlig okay; und abgesehen davon erhält man sie auf der Website meist noch mit deutlich Rabatt, zum Beispiel 80 US-Dollar für die Vollversion. Wenn man ein anderes ON1-Produkt hat, gibt es sie für 70 US-Dollar.

2 Kommentare zu «So einfach ist es nicht, gegen Adobe anzustinken»

  1. Danke für den Testbericht!

    Wie es der Zufall will, habe ich diese Woche mit einem Fotografen über RAW-Entwicklung gesprochen. Er verwendet für die RAW-Bearbeitung seit einiger Zeit nicht mehr Lightroom, sondern DxO PhotoLab. Es sei schneller als Lightroom, die automatischen Korrekturen besser und vor allem die Rauschunterdrückung sei genial.

    Hatte innerlich schon die Kreditkarte gezückt, um es zu kaufen, aber es hat einen gewichtigen Nachteil: es bietet keine Bildverwaltung. Man kann es mit Lightroom koppeln, aber eben: man wird Lightroom nicht los. (Für einen Profi kein Problem, er hat es ja mit Photoshop im Abo.)

    Sein Workflow ist wie folgt Kamera => Lightroom (Import) => DxO (Entwicklung) => Lightroom (Verschlagwortung) => Photoshop (Bearbeitung).

    Eingefallen ist mir noch ACDSee, welches einem vielleicht bekannt vorkommt vom Bildbetrachter früher, als es noch keine Vorschau gab im Explorer. Deren Software kann Dateimanagement und Entwicklung.

    Die Entwicklungsfunktionen sollen ganz gut sein. Man soll aber auch die Bilder in ACDSee verwalten und für die Entwicklung mit DxO PhotoLab verwenden können, eine Schnittstelle sei vorhanden.

    Das Tolle an ACDSee: man kann seinen Lightroom-Katalog importieren! Ich weiss nicht, ob die Entwicklungseinstellungen vollständig übernommen werden, aber auf jeden Fall die Verschlagwortung.

    Viel Spass beim Testen! 🙂

    (Musste die Links entfernen, es kam sonst \”comment is invalid\”.)

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