Ein ungelesenes und zwei gelesene Bücher

«The Big Sheep» von Robert Kroese ist eine wunderbare Philip Marlowe-Parodie im Sciencefiction-Gewand. Und mit «Out of Spite, Out of Mind» liefert Scott Meyers den etwas schrägen fünften Teil seiner «Magic 2.0»-Reihe ab.

The Left Hand of Darkness von Ursula K. Le Guin

Nach 128 Büchern, die ich fast alle fertig gehört habe, musste ich das allererste Audible-Buch ungehört zurückgeben. Es handelt sich um The Left Hand of Darkness (Amazon Affiliate) von Ursula K. Le Guin (Deutsch: Die linke Hand der Dunkelheit). Ich hatte mich auf das Buch gefreut, aber der Sprecher ist leider unterirdisch: George Guidall ist zwar einer der fleissigsten Erzähler mit mehr als 1200 Hörbüchern (Wikipedia), der in diesem Titel aber so undeutlich spricht, dass man sich fragt, ob er einen schlechten Tag hatte oder es für ein gutes Stilmittel hielt, während den Aufnahmen die Zahnprothese zu entfernen.

Kaum zu unterscheidende Namen

Das Dumme ist ausserdem, dass in der Vorschau die Frau zu hören ist (Ursula K. Le Guin selbst?), die das Vorwort spricht – und nicht diese mümmelnde Darbietung, die auch anderen nicht gefallen hat. Da aber schon im ersten Kapitel Worte wie Gethen, Stabile on Ollul, Genly Ai, Diurnal und Odharhahad vorkommen, habe ich gleich die Waffen gestreckt. Ein solches Vokabular passt nicht zu einer Lesung, bei der man kaum die normalen englischen Worte voneinander unterscheiden kann.

Der Rückgabeprozess ist übrigens unkompliziert und das Buch bleibt in der Bibliothek, sodass man es weiterhören könnte. Wenn man denn wollen würde.

Wer ist hier das Schaf? (Screenshot The Big Sleep)

The Big Sheep von Robert Kroese

Ein echter Tipp ist hingegen The Big Sheep von Robert Kroese (Amazon Affiliate). Der Titel ist natürlich eine Anspielung an The Big Sleep von Raymond Chandler, dem Erfinder des prototypischen hardboiled Detective Philip Maloney Marlowe. Das Schaf ist wirklich gross – und wenn es am Anfang so aussieht, als ob es bloss einer etwas launigen Idee des Autors entsprungen wäre, um seiner Geschichte einen verrückten Auftakt zu verpassen, so täuscht das. Das Schaf ist ein wichtiges Puzzlestein und wird gegen Ende für eine echte Überraschung gut sein.

In dieser Geschichte sind die hartgesottenen Detektive auch im Jahr 2039 noch nicht ausgestorben. L.A. ist ein Ödland, nach dem Zusammenbruch von Recht und Ordnung gibt es die Disincorporated Zone, in der Banden ihr Unwesen treiben. Erasmus Keane nennt sich Phenomenological Inquisitor (was natürlich an Dirk Gentlys holistische Detektei erinnert), und er ist eine etwas undurchsichtige Gestalt, die sich der Dienste von Blake Fowler versichert hat. Aus dessen Sichtweise wird der Plot erzählt, der sich neben den verschwundenen, grossen Schaf um eine überirdisch schöne Fernsehdarstellerin dreht: Priya Mistry scheint am Rand des Wahnsinns: Sie hat einen Brief ihres Teddys aus Kindertagen bekommen, ist aufgelöst und vielleicht in echter Gefahr – womöglich aber nur exzentrisch.

Wichtige Leute werden geklont – ist doch klar.

Nach einigen Ermittlungen finden Keane und Fowler genügend Ungereimtheiten, um Priya Mistry nicht einfach nur für durchgeknallt zu halten. Sie taucht an unerwarteten Orten auf, erinnert sich so offensichtlich nicht mehr an Dinge, dass … (Achtung, Spoiler!)

… nur ein Schluss möglich ist. Nämlich: Priya Mistry ist nicht eine Person, sondern mehrere. Sie wurde aus finanziellen Gründen mit technischen Mitteln multipliziert. Und während der Vorgang selbst recht erfolgreich war und perfekte Ebenbilder ermöglicht hat, scheint es der Psyche von Priya Mistry nicht gutgetan zu haben.

Der Plot ist solide gezimmert, sodass sich die Ermittler schön in den Geschehnissen verstricken können: Da ist Élan Durnham, die eiskalte TV-Produzentin, der Warlord Mag-Lev, Dr. Henry Allebach, der verliebter Wissenschaftler und Nikki, die Rächerin – und da ist die Vergangenheit von Erasmus Keane, die ihn erpressbar macht. Und der Plot setzt sich auf eine interessante Weise mit der Frage der Identität auseinander. Die stellte sich schon in Daniel Suarez’ Buch «Change Agent» (Körperzukunftswelten), weil dort Äusserlichkeiten und viele genetische Eigenschaften editiert werden können. Bei «Change Agent» geht es darum, was von der Identität übrig bleibt, wenn das Äussere fast beliebig wandelbar ist.

Was passiert mit Leuten, wenn man sie vermehrt?

Hier bei «The Big Sheep» stellt sich die Frage, was mit der Identität passiert, wenn man Personen wegen ihres Äusseren vervielfältigt – und man nicht mehr weiss, ob man nun die Kopie oder das Original ist. Und auch wenn «The Big Sheep» salopp geschrieben ist und dank Humor und Hardboiledheit eine lockere Lektüre sein will, ist die Beschäftigung mit diesen Punkten tiefschürfend genug, um interessant zu sein.

Fazit: Sehr empfehlenswert, auch weil die Technik des Jahres 2038, vor allem die Luftautos (aircars), eine spannende Kulisse bieten.

Out of Spite, Out of Mind von Scott Meyers

Buch Nummer drei – und das Zweite, das ich gelesen habe: Out of Spite, Out of Mind. Das ist der fünfte Teil von Scott Meyers Magic 2.0-Reihe, von der ich die vier Vorgänger allesamt ausführlich besprochen habe (1, 2, 3 und 4). Es handelt sich nicht um die beste Folge der Reihe (das ist nach wie vor Teil drei), aber auch nicht um den schlechtesten (das ist der vorletzte, Teil vier). Es ist gutes Mittelmass und ein echter Meyer, mit viel Humor, Dialogwitz und einer brauchbaren Handlung. Die Figuren blieben blass und die Geschichte ist, mit Verlaub, verwirrend.

Scott Meyer hat sich entschieden, nach dem letzten Abenteuer mit den komplett harmlosen Drachen wieder ein echtes Gefahrenmoment einzubringen: Britt die Ältere stellt fest, dass ihre Erinnerungen nicht mit denen ihres Alter Egos, Britt der Jüngeren übereinstimmen. Das ist irritierend, denn da sie die gleiche Person ist, die zu einem späteren Lebenszeitpunkt in jede Zeitperiode zurückgekehrt ist, an dem sie schon einmal aktiv war, müsste sie genau das Gleiche erleben, das sie schon einmal erlebt hat.

Der «Glitch» im Fuss

Doch das ist nicht der Fall – und auch nicht alles. Denn ihr Fuss hat ebenfalls ein Problem. Er wird nicht mehr richtig dargestellt, sondern erscheint immer mal wieder in Form niedrig aufgelöster Polygone. Das Phänomen wird glitch getauft: Es handelt sich offenbar um eine Störung in der Software, die die ganze Welt steuert. Mutmasslich ist diese Störung entstanden, weil die Magier einfach zu viel an der Realität herumgebastelt haben. Das ist eine echte Bedrohung, die besondere Massnahmen erfordert.

Der alte Bösewicht Jimmy alias «Merlin» wird aus dem Status der Ungnade in den Expertenstand zurückberufen – er hat nämlich Erfahrungen damit gesammelt, nicht nur Personen, sondern auch deren Erinnerungen zu manipulieren. Um die Sache in den Griff zu bekommen, greift schliesslich sogar Britt die ganz Alte ein – sodass am Schuss ein umfangreiches Aufgebot der gleichen Frau zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Historie am Problem arbeitet.

Die ständigen, etwas mühsamen Goblin-Angriffe

Gleichzeitig verhält sich Philipp überaus seltsam. Er geht ständig auf Spaziergänge, lässt sich von einem Goblin angreifen, ohne sich richtig zur Wehr zu setzen – und er hat ein echtes Problem mit seiner Lebenspartnerin Britt der Jüngeren. Als Vertreter des freien Willens glaubte er noch nie, dass Britt die Jüngere unweigerlich zu Britt der Älteren werden müsse. Doch dieser Glaube wiederum versetzt ihn in ein Dilemma von Loyalität und Zugehörigkeit. Und da ein grosser Teil des Schadens beim Versuch, den Glitch zu beheben angerichtet wurde, hat er nun die undankbare Aufgabe, seinen Freund Martin davon abzuhalten, ihm helfen zu wollen.

Man sieht: Ein typisches Zeitreise-Dilemma, das sich wahrscheinlich nicht so erzählen lässt, dass ein durch und durch locker-flockiges Lesevergnügen entsteht. Dennoch hoffe ich nach dem Teil, dass Scott Meyer die Reihe weiterführen und vielleicht ein wieder etwas lineareres Abenteuer bereithalten wird.

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