Unauflösliche Widersprüche

«Survivor» von Brett Battles ist der (halb geglückte) dritte Teil einer Zeitreise-Trilogie, in der der Held ein unvergleichliches temporales Chaos in Ordnung bringen sollte.

Ich vermute, dass zwei Buchbesprechungen in einer Woche die Geduld meiner Leserschaft überstrapaziert. Aber hey, wir sind hier nicht zum Vergnügen.

Und darum müsst ihr nun die Besprechung von Brett BattlesSurvivor (Amazon Affiliate) über euch ergehen lassen.

Wie würde die Gegenwart aussehen, wenn Barbaren wie diese hier Europa überrannt hätten? (Bild: Parker_West/Pixabay, CC0)

Das Buch ist der dritte Teil einer Trilogie, die mit dem Buch «Rewinder» begonnen hat, das im Beitrag Wir sind die Anomalie besprochen wird. Der zweite Teil, «Destroyer», wurde hier nur kurz erwähnt, weil sie der schwächste Teil der Miniserie ist und den Protagonisten bloss als hilflosen Statisten zeigt, der zusehen muss, wie seine Gegenspielerin Lidia die Historie der Menschheit zu Kleinholz verarbeitet – um eine plumpe Metapher für ein würdeloses Schauspiel zu verwenden.

Das britische Empire als Mass aller Dinge

Kurze Zusammenfassung von dem, was bisher geschah: Denny Younger lebt in einer Welt, in der das britische Empire bis in die Gegenwart überlebt hat. Interessanterweise gibt es in dieser Welt die Möglichkeit der Zeitreisen. Die Machthaber setzen sie zur historischen «Bereinigung» und zum Machterhalt ein. Bei einem seiner Trips in die Vergangenheit verändert Denny die Geschichte aber so nachhaltig, dass zufälligerweise jener Zeitstrahl entsteht, in dem die Welt so aussieht, wie wir alle sie kennen- und (wahrscheinlich) auch schätzen gelernt haben. Auch Denny findet diese Variante der Historie besser, weswegen er sich entscheidet, alles so zu belassen, wie es ist.

Das klappt aber nicht: Besagte Lidia läuft aus irgend einem Grund Amok. Sie reist durch die Zeit rückwärts und nimmt so viele Veränderungen vor, dass die Gegenwart radikal aussieht: Europa wurde seinerzeit von den Hunnen überrannt. Die Entwicklung fand ohne die Hochkulturen statt, mit denen wir uns heute noch brüsten – Renaissance und Humanismus, beispielsweise.

In «Survivor» will Denny das ganze Debakel nun rückgängig machen. Dazu muss er Lidia durch die Zeit verfolgen und ausgehend von dem am weitesten zurückliegenden Punkt in der Vergangenheit jede einzelne ihrer Veränderungen rückgängig machen. Als Laie würde man vielleicht auf die Idee kommen, einfach Lidia auszuschalten, bevor sie ihre temporale Randale überhaupt angefangen hat – aber das klappt nicht, weil jene Zeitlinie nicht mehr existiert: Sie wurde durch Lidias Veränderungen in der Vergangenheit ausgelöscht und ist für Denny nicht mehr zugänglich.

Eine nicht sehr erquickliche Ausgangslage

Diese Ausgangslage ist, man muss es sagen, nicht eben attraktiv: Man stellt sich als Leser von «Survivor» auf ein relativ mühsames Buch ein, bei dem die Geschichte von «Destroyer» in umgekehrter Reihenfolge erzählt wird, wobei Denny an jeder Station in der Historie vor der gleichen Aufgabe steht: Er muss Lidia abfangen und ausschalten, bevor sie ihren Schaden anrichten kann. Und da er das in umgekehrter Reihenfolge als Lidia tut, kann er sie immer wieder erneut überraschen und überwältigen.

Das ist tatsächlich ein bisschen repetitiv. Aber Brett Battles erzählt es relativ kurz und schmerzlos erst am Ende des Buchs. Vorher muss sich Denny in die Lage versetzen, seine Rettungsaktion überhaupt beginnen zu können. Bei Ankunft in der Gegenwart des neuen Zeitstrahls wurde Denny verhaftet – denn er hat Lidia bei einem Zweikampf (in Notwehr oder auch nicht) umgebracht.

Er steckt in einer Welt, von der er fast nichts weiss und in der er nicht einmal die Sprache versteht. Denn da die europäische Blütezeit nicht stattgefunden hat, wird auf dem amerikanischen Kontinent auch kein Englisch gesprochen. Zur Verständigung verwendet er die Brocken Latein, an die er sich erinnern kann – und ein paar Worte dieser unbekannten Sprache, die er sich mit der Zeit aneignet.

Wo ist das verflixte Zeitreise-Gerät?

Und noch ein Problem: Der Chaser, das Zeitreise-Gerät, ist ihm abhandengekommen. Nicht nur das. Der Chaser ist in die falschen Hände gefallen und wird nun wiederum für manipulative Zwecke missbraucht. Der längste Teil der Geschichte muss Brett mit seiner Flucht und dem Überleben in dieser unbekannten Welt zubringen. Immerhin kann er dabei auf die Hilfe von Johan zählen, ein Dieb, der mit ihm im Gefängnis sitzt.

Die Besprechungen für diesen dritten Teil sind erstaunlich positiv: Es sei ein befriedigendes Finale, spannend und alle losen Enden würden zusammengeführt. Ich sehe es leider nicht so positiv. Diese unbekannte Welt bleibt während des ganzen Buchs farblos. Man erfährt von einem Krieg, der irgendwann mal stattgefunden hat.

Es scheint kein Weltreich zu geben, sondern nur isolierte Stadtstaaten – kaum Handel und keine Hochtechnologie, aber irgendwie auch keine Agrarwirtschaft. Man fragt sich, wovon diese Leute leben – und wie sie die Technologie haben entwickeln können, die Dennys Widersacherin hilft, die Funktionsweise des Chasers zu durchschauen und einen eigenen Prototypen zu bauen.

Die Welt bleibt blass

Das ist eine verpasste Chance: Mich würde sehr interessieren, wie eine Welt aussehen würde, in der es keinen europäischen Kolonialismus gegeben hat. Doch was politische, kulturelle, technologische Alternativen angeht, bleibt «Survivor» blass. Als Abenteuergeschichte ist das Buch okay, aber mehr auch nicht.

Selbst bei den moralischen Dilemmas macht Brett Battles relativ wenig aus den Möglichkeiten: Er überlegt sich zwar eine schöne Möglichkeit, wie Danny seine Widersacherin Lidia nicht mehrfach, an jedem Punkt der Geschichte, an dem er sie stoppt, umbringen musst: Er setzt alle Lydias in der Vergangenheit auf einer unentdeckten Insel aus.

Aber er drückt sich um eine interessante Frage, die nur kurz einmal aufgeworfen wird: Was passiert mit ihm selbst, wenn er sich durch einen kurzen Sprung zurück selbst begegnet und seinem Alter Ego dort ins Handwerk pfuscht? Solche Aktionen sind im Buch nötig, um Fehler zu korrigieren. Die jüngere Variante von Danny – nennen wir sie Danny A –, weiss, dass seine Handlungen keine Rolle mehr spielen werden, weil Danny B sie nachträglich korrigiert hat. Deswegen verschwindet Danny A als temporale Abspaltung jedoch nicht. Eben sowenig das ältere Selbst: Danny B kann seine Aktion weiterführen, selbst wenn Danny A die Handlung, die zu Danny Bs aktuellen Situation geführt hat, nun unterlässt.

Ein handlungsunfähiger Held

Diese Vervielfältigung von agierenden Figuren ist widersprüchlich und verwirrlich. Und sie führt dazu, dass Danny A durch die Begegnung mit Danny B überflüssig wird. Er spielt für die künftige Handlung keine Rolle mehr. Und er sollte es auch unterlassen, überhaupt etwas zu tun: Er kann höchstens noch Schaden anrichten, aber nichts mehr fürs Gelingen der Mission beitragen. Und er hat keine Möglichkeit, in die korrigierte Gegenwart zurückzureisen. Das einzige, was Danny A tun kann, ist, sich ein ruhiges Leben in der Zeit zu machen, in der er gerade gestrandet ist. Er sollte möglichst nichts unternehmen, was den Ablauf der Geschichte verändern wird – deswegen wäre Selbstmord die sicherste und sinnvollste Lösung.

Das ist eine grässliche Vorstellung und ein enormes moralisches Dilemma: Denn wer möchte sich selbst auf diese Weise als gescheiterte Existenz zurücklassen? Würde Brett Battles dieser Frage im Buch entsprechend Platz einräumen, würde sich die lockere Abenteuergeschichte in eine düster-depressive Abhandlung nach dem Sinn des Lebens eines Zeitreisenden verwandeln. Sie zu ignorieren, wird der Sache aber auch nicht gerecht. Dieses erzählerische Dilemma bleibt unaufgelöst und führt dazu, dass ich dieses Buch eben nicht als würdigen Abschluss einer gelungenen Trilogie ansehen kann.

Das Potenzial verschenkt

Nein, diese Trilogie hat ihr Potenzial leider verschenkt. Ich würde wahrscheinlich, wenn ich eine Zeitreise-Geschichte schreiben würde, die dynamische Zeitachse meiden (siehe Die drei Gesetze der Zeitreise). Oder ich würde das Problem dieses Paradoxons vermeiden, indem Figuren unbedingt vermeiden müssen, sich selbst zu begegnen: Das kann wirklich unter keinen Umständen gut gehen. Genau das, was die Macher der Fernsehserie «Timeless» wie im Beitrag Zeitreisen sind nicht mehrheitsfähig diskutiert, getan haben, um auf derlei Komplikationen zu verzichten. Die Wahrscheinlichkeit ist einfach gross, dass sie dem Publikum den Spass verderben.

Oder die Sache liesse sich entschärfen, indem sich Danny A Danny B anschliesst und sich so mit der Zeit eine Art Söldnertruppe bildet. Wäre man in der Situation, würde man das wahrscheinlich tun – allein deswegen, weil man so schlagkräftiger werden würde. Aber aus erzählerischer Sicht ist das eine bizarre Situation, die aus einer Unterhaltungsgeschichte eine Horrorstory macht.

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