Körperzukunftswelten

«Change Agent» von Daniel Suarez: Hier werden die Reichen und Schönen genetisch nach allen Regeln der (sehr weit fortgeschrittenen) Kunst aufgemotzt und so verändert, dass sie nicht mehr identifizierbar sind. Daraus ergibt sich allein aus gesetzlicher Sicht ein Problem, dass der Staat nicht dulden mag – und eine rasante, futuristische Abenteuergeschichte.

Daniel Suarez gehört inzwischen zu der Crème de la Crème der Tech-Thriller-Autoren. Sein fulminantes Debüt mit Daemon (Amazon Affiliate) und Freedom™ (Amazon Affiliate) ist Pflichtstoff für Freunde der gepflegten Near-Future-Sciencefiction. Auch Influx (Amazon Affiliate; im Beitrag Die Zukunft ist eigentlich ein alter Hut besprochen), bei der der alte Traum von der Schwerelosigkeit literarisch Wirklichkeit wird und sich nicht als reine Freude entpuppt, ist zwar kein federleichter, aber dennoch ein sehr unterhaltsamer Lesespass.

Singapur ist 2045 die Technologie-Hauptstadt der Welt. (Bild: Fancycrave/Pexels, CC0)

Das neueste Buch heisst Change Agent (Amazon Affiliate) bzw. auf Deutsch aus unerfindlichen Gründen «Bios» (Amazon Affiliate): Die Revolution des Internets und der Informationstechnologie ist durch, Silicon Valley ist wieder das, was es schon immer war und was sein naturgegebener Status sein sollte: ein langweiliger, unbedeutender Fleck auf der Landkarte.

Auch Google und Co. existieren wahrscheinlich noch, aber kein Hahn schreit mehr nach ihnen. 2045 ist Bio-Technologie angesagt: Als Frau und Herr von Welt (und finanziellem Wohlstand) lässt man sein eben gezeugtes Kind noch im Embryo-Stadium editieren. Bei diesem Vorgang werden Gene ausgetauscht, um dem zukünftigen Erdenbürger physische und mentale Eigenschaften zu geben, die Mutter Natur für ihn nicht vorgesehen hatte: Ein bisschen schöner, klüger, stärker, schneller, sexier schadet ja nicht. Und die anderen tun es auch, sodass man in einer Welt, die so kompetitiv ist wie die unsere, gar keine andere Wahl hat.

Versteht sich von selbst, dass das nicht legal ist.

Das genetische Jekami stoppen

Der Gesetzgeber will kein genetisches Jekami, zumal das Risiken hat, jede Menge ethischer Fragen aufwirft und überhaupt in eine komische Richtung führen könnte. Nur Erbkrankheiten und Behinderungen dürfen beseitigt bzw. korrigiert werden. Kenneth Durand ist der Held dieser Geschichte. Sein Job ist es, den gesetzlichen Rahmenbedingungen zum Durchbruch zu verhelfen. Er ist Datenanalyst bei Interpol in auf Ketam Island in Singapur. Der Stadtstaat ist dank der Gen-Revolution inzwischen die technologische Welthauptstadt. Durand stöbert mit den Mitteln von Big Data Genlabore auf, die sich nicht an die Regeln halten und den werdenden Eltern auch illegale «Edits» anbieten.

Diesen Job macht er recht erfolgreich. Erfolgreich genug, dass das organisierte Verbrechen, das finanziell enorm von den Biohacks profitiert, auf ihn aufmerksam wird und zu einem Doppelschlag ausholt: Sein selbstfahrendes Auto wird auf der Fahrt nach Hause, zum Geburtstagsfest seiner Tochter, umgeleitet und er aus dem Wagen gelockt. Er bekommt eine Spritze und wacht Wochen später auf – und es ist kein schönes Erwachen.

Die überzeugenden Kulissen

So weit die Zusammenfassung der Geschichte ohne Spoiler. Was Suarez auszeichnet, sind zwei Dinge: Erstens die überzeugenden Kulissen: Die Zukunftswelt wirkt glaubwürdig, mit ihren selbstfahrenden Autos, den ausufernden Möglichkeiten von Big Data, den speziell designten Haustieren («Toygers»), billigen, werbeverseuchten Wegwerf-Phablets und omnipräsenter Augmented Reality: Es hat sich nämlich die Lightfield-Projektion durchgesetzt, die Informationen direkt auf die Netzhaut der Menschen beamt.

Das kann auf der Strasse lästig sein, da man sich der virtuellen Werbung kaum mehr erwehren kann – und auch der Sound direkt auf die Trommelfelle gejagt wird. Aber immerhin kann man sich mit verspiegelten Brillen dagegen wehren. Privatsphäre ist in diesem Zeitalter rar geworden. Und generell balanciert das Jahr 2045 bei Daniel Suarez auf dem schmalen Grat zwischen Dystopie und Utopie.

Das zweite positive Ding ist der solide Plot: Er ist angesichts der technischen Möglichkeiten geradezu zwingend – so unausweichlich, dass manche Kritiker die Geschichte als vorhersehbar taxiert haben. Die Kritik kann ich zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Aber lieber eine vorhersehbare Geschichte als eine aus der Luft gegriffene, der die Glaubwürdigkeit fehlt.

So kritisch man die Technik auch sieht, Spass machen soll sie trotzdem

Und Suarez tut das, was ein guter Tech-Thriller-Autor tun sollte: Die Freuden und die Gefahren einer technischen Entwicklung vor Augen zu führen, ohne einem den Lesespass zu verderben. «Change Agent» kommt erfrischenderweise ohne viel Moralisieren aus, obwohl es in dieser Welt billiger ist, Kinder-Arbeiter und -Soldaten zu züchten, anstelle Roboter und Androiden zu verwenden.

Die Menschheit hat keine Mühe, eine neue Ära der Sklaverei anzutreten. Und die Auswüchse von Körperkult, Fanverehrung und Oberflächlichkeit nehmen eine Dimension der Dekadenz an, von denen die Botox-Freaks unserer Tage nur träumen können. Suarez geht trocken genug mit diesen Dingen um und scheint sogar eine gewisse Sympathie für die Körperhacker zu haben, die – weil man sich schliesslich keine Illusionen zu machen braucht, wie sich die Instagram-Generation von heute angesichts der schönen neuen Möglichkeiten verhalten wird.

Wenig überraschende Wendungen

Wie gesagt, hält die Geschichte relativ wenige überraschende Wendungen bereit. Es gibt einiges an Action und mit dem körperbehinderten Bryan Frey eine sympathische Nebenfigur. Ich würde «Change Agent» nicht zu Suarez’ besten Büchern zählen. Wenn man diesen Autor noch nicht kennt, lernt man ihn besser mit seinem Debüt-Zweiteiler «Daemon»/«Freedom™» oder mit «Influx» los. Aber wenn einem das Thema zusagt, spricht nichts dagegen, den Einstieg mit «Change Agent» zu wagen. Und erfahrene Suarezologen sollten sich die Geschichte auf alle Fälle gönnen.

Und hier noch der Rest der Zusammenfassung, inklusive Spoiler:

Marcus Wyckes, der Chef des Gangster-Syndikats der Huli jing, hat sich eine klevere Idee ausgedacht, um als tot zu gelten und gleichzeitig den Strafverfolgungsbehörden einen empfindlichen Schlag zu versetzen. In der Unterwelt gibt es nämlich die Möglichkeit, nicht nur Embryos durch «Edits» genetisch zu verbessern.

Es ist auch möglich, erwachsene genetisch «umzubauen», indem jede einzelne Zelle des Körpers (bzw. so viele, wie für eine bestimmte Veränderung nötig sind) entsprechend angepasst wird. Von diesem Fortschritt weiss die Öffentlichkeit nichts und selbst die Behörden haben keine Ahnung – doch die Superreichen dieser Welt haben die Möglichkeit, sich auch im fortgeschrittenen Alter ihren Traum zu erfüllen und zum Ebenbild von Brad Pitt oder Scarlett Johansson zu werden. (Ein Kritiker moniert, es sei unwahrscheinlich, dass sich im Jahr 2045 die Leute noch immer an diesen dann sicher abgehalfterten Idolen orientieren würden und nicht an den Superstars ihrer Zeit. Ein berechtigter Einwand.)

Das Mittel, das einen bis ins Zellinnere wandelt

Durand erhält von Otto, der selbst das Resultat eines genetischen Experiments ist, ein Mittel, das Change Agent injiziert, das ihn genetisch zum Ebenbild von Marcus Wyckes werden lässt. Er sollte eigentlich bei diesem Prozess sterben. Denn das hätte den Vorteil, dass einerseits der Gangsterboss keiner Verfolgung mehr ausgesetzt und andererseits ein lästiger Gegenspieler ausgeschaltet wäre. Doch es klappt nicht: Durand überlebt. Da er aussieht wie einer der meistgesuchten Verbrecher, setzt eine wilde Flucht ein, die ihn nach Malaysia, Thailand und Burma führt. Diese Flucht ist ein ziemliches Abenteuer-Spektakel: Mit einem wilden Drohnenritt und einer Fahrt in einem künstlichen Hai.

Es gibt ein Happy-End: Durand schafft es, seine Identität zurückzubekommen und die Welt davor zu warnen, dass Identität sowieso zu einem sehr unsicheren Konzept geworden ist, jetzt, wo sich Körper auf genetischer Ebene fast beliebig verändern lassen. Doch jetzt, wo der Rechtsstaat davon weiss, gibt es ein Gegenmittel – denn eigentlich möchten die meisten Menschen gerne die Gewissheit haben, dass sie noch die sind, die zu sein sie selbst vermuten…

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