Bei Adobe ruht so einiges in Frieden

Es ist unfassbar, wie viele Produkte Adobe in der letzten Zeit lanciert und wieder beerdigt hat – oft auch unerwartet und vor der Zeit.

Gerne lästere ich über Google, weil sich hinter dem Googleplex in Mountain View ein weitläufiger Friedhof erstreckt. Dort wurden all die Produkte verbuddelt, die hochgesteckte Erwartungen nicht erfüllt oder Manager-Marotten das Leben gekostet haben. Im Beitrag Googles grusliger Gräbergarten sind einige davon aufgeführt. Eine aktualisierte Liste gibt es bei Wikipedia.

Da fehlt was. (Bild: Aitoff/Pixabay, CC0)

Es fällt auf, dass sich Google seit dem Kahlschlagjahr 2016 etwas gebessert hat. 2017 wurden laut dieser Übersicht nur Google Spaces und Google Map Maker in die Tonne geklopft. Geht ja noch. 2018 hat es bis jetzt erst die Encrypted search erwischt, und die war offensichtlich sowieso obsolet. Da könnte man schon fast auf die Idee kommen, Google mangle es an neuen Ideen, dass so wenige alte über die Klinge springen müssen.

57 Sterbefälle gab es in letzter Zeit zu vermelden

Nun ist mir aufgefallen, dass auch Adobe einen riesigen Friedhof unterhält. Darf ich zitieren?

Acrobat Elements, Acrobat Elements-Server, Acrobat Messenger, Adobe Acrobat Basic, Adobe Form Manager, Adobe Ideas für Android, Adobe Media Gateway, Adobe OnLocation, Adobe Stock Photos, Adobe Type Set, ATM Deluxe, Authorware, Collage, CS Live-Dienste, CS Review, Creative Mark, Debut, Design Collection, Muse, Dreamweaver Server Extension, DS Community Edition, DV Rack, eLearning Suite, Encore, Flash Media Live Encoder, Flash Paper, Fontographer, FreeHand, GoLive, Graphics Server, Homesite Tool, InContext Editing, Kuler für Android, LeanPrint, NetAverages, Ovation, PageMaker, PDF Scan, PhotoDeluxe, Photoshop Album, Adobe Premiere LE, PressReady, Production Studio Premium, Production Studio Standard, Proto, Rapid e-Learning Collection, RoboInfo, RoboPDF, Secure Content Servers, Soundbooth, Form, Studio, Type on Call, Ultra, Video Collection Pro, Video Collection Standard, Vlog It! und Visual Communicator

In der Liste finden sich auch einige Klassiker, zum Freehand und GoLive. An die werden viele sicher gerne zurückdenken. Mit Freehand habe ich nie gearbeitet. Aber GoLive war intensiv im Einsatz. Als Adobe nach der Übernahme von Macromedia plötzlich zwei Webeditoren im Programm hatte, war ich im Team GoLive. Doch Adobe hat sich für Dreamweaver entschieden und GoLive auf einem Acker in San José (übrigens die hässlichste Stadt Kaliforniens) unzeremoniell eine Grube ausgehoben. Ein grosser Fehler: Dreamweaver ist heute noch Mist. Aber zum Glück ist die Zeit der HTML-Editoren eh vorbei.

Auch PageMaker ist nun endgültig dahingeschieden

Man stösst in der Liste unweigerlich auch auf PageMaker. An ihn habe ich warme Erinnerungen. Dieses Programm ist angesichts der überragenden Möglichkeiten von InDesign obsolet. Ich finde es dennoch schade, dass es PageMaker überhaupt nicht mehr gibt und Adobe den alten Knaben nicht als günstiges Programm für Einsteiger im Sortiment behalten hat. Man hätte es auch der Open-Source-Gemeinde überantworten können. Aber natürlich leuchtet es mir ein, dass Adobe einen Teufel tun wird, durch ein grosszügiges Geschenk Konkurrenten heranzuzüchten.

Sterbebild.

Ansonsten gibt es Produkte, die davon zeugen, dass es an der Park Avenue 345 ein paar Manager gibt, die es für eine gute Strategie halten, jedem Trend hinterherzuhecheln. Oder was sonst war die Motivation bei Vlog It!?

Man kann sich fragen, ob noch andere Produktnamen auf die Liste gehören. Zum Beispiel Adobe Air. Bei diesem Produkt hat Adobe nebst Flash noch eine proprietäre Web-Technologie verbrochen. Die Idee war an sich einleuchtend – eine Grundlage für Web-Anwendungen zu schaffen.

Weiterhin wären auch die Totgeburten zu erwähnen

Doch natürlich will jeder vernünftige Web-Entwickler, dass eine solche Technologie auf offenen Standards basiert und nicht von einem so machthungrigen Konzern wie Adobe kontrolliert wird. Adobe-Insider werden nun einwenden, dass Air noch unter uns weilt und weiterhin entwickelt wird. Diese Technologie auf den Friedhof zu verfrachten, wäre verfrüht. So lange Opa im Koma liegt und von der Maschine am Leben gehalten wird, muss er schliesslich auch noch nicht dorthin.

Auf jeden Fall vermisse ich «Project Rome» auf diesem Friedhof. Über dieses Produkt habe ich am 8. November 2010 Folgendes geschrieben:

An der Cloud kommt heute niemand mehr vorbei. Auch Softwarehersteller Adobe, der sein Geld mit dicken Publishing-Paketen verdient, setzt auf die im Browser laufenden Anwendungen. Mit Photoshop Express (www.photoshop.com) gibt es bereits ein Online-Bildbearbeitungsprogramm. Nun kommt unter dem Code-Namen Project Rome ein Publishing-Tool hinzu.

Das Programm befindet sich noch im Entwicklungsstadium, ist aber vielversprechend. Es läuft wahlweise im Browser oder als Desktop-Programm und ist eine Mischung aus klassischem Desktop-Publishing-Programm und Multimedia-Authoring-Tool. Es lassen sich zum einen Drucksachen wie Flyer, Broschüren oder CD-Cover, Visitenkarten oder Präsentationen erstellen. Zum anderen sind elektronische Publikationen möglich: Websites in Flash, interaktive PDF-Dokumente oder Animationen. Rome stellt Vorlagen für diverse Publikationstypen zur Verfügung. Über Adobes Website kann man eigene Vorlagen anderen Usern zur Verfügung stellen.

Rome arbeitet als rahmenorientiertes Layoutprogramm wie Indesign oder QuarkXPress. Eine Alternative zu den Profiprogrammen ist es mit seinem beschränkten Funktionsumfang und der einfachen Oberfläche nicht. Gelegenheitsgestalter können mit Rome aber bestens kleine Arbeiten realisieren.

Ich habe damit gerne gearbeitet. Doch schon drei Wochen nach meinem Artikel kam das Aus: «Die Anwendung auf Basis von Adobe Air war nur eine Technikdemonstration, mit der Adobe zeigen wollte, wie Software-as-a-Service aussehen könne.» Das klingt sehr nach einer Ausflucht und meine Theorie ist, dass ein Manager in einer turbulenten Sitzung, an der viel von Kannibalisierung die Rede war, den Stecker gezogen hat. Aber sei es drum – es war eine Totgeburt, und darum kam sie nicht auf die Liste. Obwohl ich der Meinung bin, dass man auch den Stillgeborenen gedenken sollte.

Stattdessen lebt Flash immer noch!

Das gilt wohl auch für Adobe Story. Dieser Webdienst, Stichwort «Your next great story starts here», war dazu da, Drehbücher zu schreiben und Drehpläne daraus zu generieren. Das 2012 vorgestellte Produkt wurde im Januar 2018 eingestellt. Die Server laufen noch bis zum Januar 2019.

Adobe ist immerhin in der komfortablen Lage, dass die Leute sich wünschen, dass manche Produkte endlich auf dem Friedhof landen. Flash ist das exemplarische Beispiel dafür. Und bringt mich zum Fazit, dass obige Liste irritierend lange ist und von Management by trial and error zeugt.

Nachtrag: Flash lebt nicht mehr

Siehe: Flash ist tot – es lebe Flash!

2 Kommentare zu «Bei Adobe ruht so einiges in Frieden»

  1. Mir wäre es gerade lieber, Adobe würde ihre bewährten Produkte nicht entsorgen: verwende Lightroom seit Version 2. Habe jeweils alle paar Jahre das Update kaufen können. Seit Version 6 brauchte auch die Kaufversion eine Adobe-ID.

    Kürzlich hat der “Creative Cloud”-Updater das Lightroom 6 zu “Lightroom Classic CC” aktualisiert. Wurde dann zu meiner Testversion begrüsst.

    War gar nicht so leicht, wieder den Installer von Version 6 und das Update auf die letzte Kaufversion zu finden…

    Muss mich wohl oder übel mittelfristig nach einer Alternative umsehen, denn ich brauche es zu wenig, damit sich das Abo für 11 Fr./Monat lohnen würde.

  2. Das ist eine Unverschämtheit!

    Und mir geht es ganz ähnlich. Ich bin bei Lightroom 4 stecken geblieben. Ich mag die Software sehr, nutze sie aber nicht so oft, dass sich ein Abo rechtfertigen würde.

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