Schabernack oder Spiegelreflex

Neuerdings gebärdet sich das Smartphone als Spiegel­reflex­kamera und rechnet die Schärfen­tiefe künstlich klein. Wie toll das ist, darüber kann man geteilter Meinung sein. Trotzdem stelle ich die Tadaa SLR-App vor, die den Trick auch bei iPhones ohne Porträtmodus zur Verfügung stellt.

Der Porträtmodus beim iPhone ist in meinen Augen ein algorithmischer Schindluder. Ein Bild gibt vor, etwas zu sein, was es nicht ist: nämlich ein schönes Porträt.

Ein schönes Porträt wird mit einer richtigen Kamera, nämlich einer Spiegelreflex gemacht. Idealerweise verwendet man das passende Objektiv dazu, nämlich eines mit einer Brennweite von fünfzig bis 100 Millimeter, wobei das natürlich von der Grösse des Bildsensors abhängt. Mit der richtigen Blende ist die Schärfentiefe gering genug, dass der Hintergrund verschwimmt und das Gesicht die ungeteilte Aufmerksamkeit des Betrachters hat.

Die Unschärfe, das Bokeh

Und wenn ein Objektiv ein achtbares Bokeh macht, dann wertet das die Aufnahme zusätzlich auf. Natürlich ist das Licht sehr wichtig für ein schönes Porträt. Wenn das vorhandene Licht nicht passt, dann braucht man künstliche Lichtquellen – und das ist dann ein Kapitel für sich.

Das ist doch mal ein hübsches Portrait! (Aus der Tadaa SLR-App, links mit dem Eis am Stiel-, rechts mit dem U-Bahn-Filter.)

Apple behauptet nun, das sei alles überflüssig: «Mit dem Porträtmodus können Sie aussergewöhnliche Bilder erstellen.» Und:

Im Porträtmodus wird mit der Dualkamera des iPhone 7 Plus, iPhone 8 Plus und iPhone X ein Schärfentiefe-Effekt erzeugt. Damit können Sie ein Foto erstellen, auf dem Ihr Motiv scharf bleibt und der Hintergrund auf wunderschöne Weise verschwommen ist. Mit dem iPhone 8 Plus oder iPhone X können Sie Ihrem Bild auch faszinierende Lichteffekte hinzufügen.

Ich finde die so entstandenen Fotos ehrlich gesagt nicht wunderschön. Sondern meistens grottig. Der Algorithmus hat oft Mühe, die Konturen des Gesichts richtig zu treffen – gerade bei Leuten wie mir, die eine Brille tragen. Ausserdem ist es nicht so, bei einem schönen Porträt das ganze Gesicht knallscharf und der ganze Hintergrund total unscharf ist. Es gibt einen Schärfeverlauf, bei dem die Gesichtszüge ganz scharf sind, aber schon die Ohren oder die eine oder andere Haarsträhne leicht in Unschärfe abgleitet.

Die Körperlichkeit wird spürbar

So erhält man als Betrachter ein Gespür für die Körperlichkeit des Menschen: Ein Gesicht ist nicht bloss flach, sondern eine dreidimensionale Landschaft. Und das erzielt man halt nicht, indem man zwei Ebenen hat, eine scharfe und eine unscharfe.

Abgesehen davon ist es nicht nur der Schärfeverlauf, der ein gutes Portrait auszeichnet. Das passende Objektiv bildet das Gesicht auch proportional schön ab. Die Handykamera tut das nicht: Sie ist tendenziell viel zu weitwinklig, und sie verzeichnet zu stark. Und bei allen Fortschritten, sind die winzigen Sensörchen halt auch nicht gut darin, die feinen Nuancen des Teints aufzufangen.

Die Bilder sind zu bunt, die Farben zu flach und zu glattgebügelt. Letzteres liegt daran, dass Apple noch ganz andere Algorithmen auf die Bilder loslässt und die Fotos mit einem aggressiven Mittel gegen das Bildrauschen behandelt.

Der Neid des Besitzlosen?

Ja, vielleicht spricht aus mir auch der Neid des Besitzlosen, da ich kein iPhone mit Dualkamera habe. Aber bis die Technik nochmals gewaltige Fortschritte macht, müsste ein guter Porträtmodus beim iPhone lauten: «Nehmen Sie Ihre Spiegelreflex!»

In der Tadaa-App muss man mit Pinsel und Radierer den scharfen Bereich markieren. Dann wählt man den Grad der Unschärfe für den Hintergrund. Je unschärfer, desto ausgeschnittener sieht die Sache aus – aber hier geht es darum, das WC-Bürsteli zum Verschwinden zu bringen.

Tadaa SLR produziert manuelle Unschärfe

An dieser Stelle ist es jetzt ein bisschen unsinnig, dass ich die App Tadaa SLR vorstelle. Die bietet einen manuellen Porträtmodus: Man malt bei seinen Bildern jene Bereiche ein, die scharf sein sollen, wobei einem eine mehr oder minder gute Funktion zur Kantendetektion beiseite steht. Hat man den gewünschten Bereich freigestellt, dann gibt man an, wie stark der Hintergrund verschwommen sein soll.

Auch eine ungleichmässige Unschärfe (radial oder linear verlaufend) ist möglich. Schliesslich darf man noch am Kontrast drehen, kann eine Vignette aufs Bild packen und den Beschnitt verändern.

Das Resultat sieht genauso aus, wie man es sich vorstellt: Nämlich wie ausgeschnitten. Aber was mir an der App gefällt, sind die völlig überzogenen Filter. Die geben dem ganzen eine ironische Note, sodass ein solches Selfie genau die richtige Botschaft vermittelt: «Treiben Sie Schabernack. Oder nehmen Sie Ihre Spiegelreflex.»

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