Mein Name ist Bond, und mit den Filmen habe ich nichts zu tun

Ich habe mir «Casino Royale» von Ian Fleming in (Hör-)Buchform zu Gemüt geführt und war verblüfft: Bond hat als literarisches Wesen nur wenig mit seinem Film-Pendant zu tun. Und um ehrlich zu sein: Er ist um Welten interessanter.

Zwischen Weihnachten und Neujahr habe ich mir das Hörbuch Casino Royale (Amazon/Audible) von Ian Fleming angehört. Das ist ein bemerkenswertes Werk: Bond bekommt es mit Le Chiffre zu tun. Das ist ein kommunistischer Agitator in Frankreich, der im Dienst von Smersch steht, dem Vorläufer des KGB.

Weil er eine beachtliche Summe unterschlagen und mit seinen Bordells verloren hat, präsentiert sich die Gelegenheit, ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Er versucht nämlich, das Geld durch Glücksspiel zurückzugewinnen. Wenn Bond dafür sorgt, dass dieser Plan nicht gelingt, dann wird Smersch für den Rest sorgen.

Daniel Craig ist nicht so weit weg vom echten Bond wie Roger Moore, doch auch er ist viel zu erfolgreich bei dem, was er tut. (Bild: ZDF)

Der Plan funktioniert, zumindest am Anfang. Mit Hilfe des CIA und Felix Leiter gewinnt Bond in einer spektakulären Baccara-Partie in der (fiktiven) französischen Spiele-Hochburg Royale-les-Eaux. Doch Le Chiffre will an Bonds Spielgewinn. Er lockt dessen Begleiterin Vesper Lynd in eine Falle, entführt sie und schnappt sich auch Bond, der sich auf die Verfolgung macht. Er foltert Bond stundenlang. Der bleibt standhaft, doch vermag sich nicht zu befreien. Le Chiffre wird seinerseits von Ш aus dem Verkehr gezogen, worauf sich Bond im Spital wiederfindet, aufgepäppelt wird und sich zur Erholung mit Vesper Lynd für eine Woche in ein abgelegenes französisches Strandhotel absetzt.

Bond will heiraten

Dort entwickelt sich eine Romanze, die Bond so in Beschlag nimmt, dass er Vesper einen Heiratsantrag machen will. Doch dazu kommt es nicht. Die Frau legt plötzlich ein seltsames Verhalten an den Tag und bringt sich dann um. In einem Brief erklärt sie, dass sie erzwungenerweise eine Doppelagentin war, Smersch den ganzen Plan gesteckt hat und sich nur so zu helfen wusste.

Die Geschichte fand ich aus mehreren Gründen bemerkenswert. Bond ist kein strahlender Held, sondern, wie er selbst sagt, bloss deswegen eine Doppelnull, weil er sich die Hände dreckig macht und gegnerische Agenten um die Ecke bringt. Und er erledigt seinen Job nicht brillant, sondern gerade mal so: Sein Baccara-Spiel gewinnt er nur dank einer US-amerikanischen Geldspritze.

Bond tappt naiv in die Falle

Er geht Le Chiffre ahnungslos in die Falle und überlebt die Folter nur, weil er einerseits zäh ist und andererseits Ш auftaucht, der Le Chiffre «ein drittes Auge» verpasst. Bond kommt nicht aus eigener Leistung davon. Er wird vom gegnerischen Agenten laufen gelassen, weil der keinen Auftrag hat, ihn zu töten. Und als alter Misogyn geht er Vesper auf den Leim, die er wegen ihrer Zuwendung gleich heiraten will, obwohl sie ihn nach allen der Regeln der Kunst hinters Licht führt. Die Stärke Bonds sind düstere Philosophien über Gut und Böse, die seinen Kollegen vom Deuxième Bureau, René Mathis, zur Bemerkung verleitet, er «sollte jeden Tag gefoltert werden».

Das ist nicht der Bond aus den Filmen, sondern ein ziemlicher Kotzbrocken: Einer, der gut einstecken kann aber nicht so richtig den Durchblick hat, und der auch von einer guten Portion Selbsthass angetrieben wird. Die Attribute des Lebemanns, die in den Filmen nicht fehlen dürfen, werden angedeutet, und Bond spricht sogar davon, er habe einen eigenen Drink erfunden. Doch die Gadgets, die technischen Spielereien fehlen weitestgehend, ebenso die charmanten Marotten der Schauspieler, die Bond verkörpert haben.

Der Anti-Roger-Moore

Die saloppe, arrogante und anzügliche Nonchalance von Roger Moore ist so ungefähr das Gegenteil des Bond im Buch. Am grössten ist die Diskrepanz beim Plot: Bond rettet nicht wie im Film die Welt, sondern ist (wie er auch selbst konstatiert) annähernd wirkungslos. Seine Leistung in «Casino Royale» ist, die Ausbreitung des Kommunismus in Frankreich ein bisschen zu behindern. Wobei fraglich bleibt, ob das nicht Doppelagentin Lynd alleine auch gelungen wäre.

Auf der Suche nach einer klugen Analyse dieser Unterschiede bin ich bei Quora.com und der Frage How do the Bond movies differ from the books? gelandet. Da gibt es zwei bemerkenswerte Antworten. Graeme Shimmin zeigt die Nähe der Filme zu Flemings Werk auf: Welche Filme inhaltliche Ähnlichkeiten haben, wo nur der Titel ausgeliehen wurde und wo die Drehbuchautoren sich gänzlich auf Neuland begeben haben.

Aus Büchern wurden filmische Possen, bis hin zur Parodie

Er sagt, die ersten paar Filme hätten sich an den Büchern orientiert, doch mit Roger Moore hätten sich die Filme zu übertriebenen Possen bis hin zur Selbstparodie entwickelt:

The first few films were based on the books.
From You Only Live Twice onwards the course was away from the books and towards over-the-top extravaganzas that descended into self-parody in the later Roger Moore movies.

Clendon Gibson seinerseits erklärt einleuchtenderweise, es handle sich um zwei Genres:

The first thing to understand about the books is that they are an extension of the hard boiled/noir crime fiction that came from Raymond Chandler and Dashiell Hammett. This genre has tough guys who don’t so much solve crimes as throw a monkey wrench into the works of some criminal enterprise.
(…)
The movies, by contrast, are Action/Adventure Movies. This is a different genre. The idea here is that the world is broken, or in terrible danger, and one man has the power, the courage, the X to put the world right again. In a desperate hour, Bond is called for. The novel, by contrast, puts Bond’s role as the main player in a small but important action against the enemy.

Kurz zusammengefasst: Es handelt sich um zwei Genres: Die Bücher orientieren sich am Hardboiled detective, die Filme am Action-Genre. Und da diese beiden Genres unterschiedlich sind und sehr verschiedene Anforderungen haben, ergibt sich beim Konsument ein andersartiger Eindruck beim Lesen oder Sehen.

Quora ist cool

Bleiben zwei Dinge festzuhalten: Erstens, ich mag Quora. Die im Beitrag Wie Sie lernen, eine Boeing zu landen gewürdigte Frage-und-Antwort-Plattform ist eine wunderbare Ergänzung zu Wikipedia, gerade bei Fragen wie dieser hier, die sich schlecht in einen enzyklopädischen Beitrag fassen lassen.

Und zweitens: Ich mag nicht, was die Filmemacher mit Bond angestellt haben. Ich verstehe es, und er Erfolg gibt ihnen wahrscheinlich recht. Aber Bond im Film zeigt auf, warum das Kino heute noch als Popcornkino von sich reden macht, und im Vergleich zu TV- und Netflix-Serien nicht mehr relevant ist.

Ich würde übrigens gerne Bond als Netflix-Serie sehen… ich denke, das wäre genauso spannend, wie Harry Potter als Netflix-Serie, und das Resultat wäre mit grosser Wahrscheinlichkeit besser als bei der Filmreihe. Und übrigens: So unwahrscheinlich ist das gar nicht. Amazon beispielsweise will «Herr der Ringe» als Serie neu verfilmen.

Kommentar verfassen