Die Kundschaft verscheissern

Die allgemeinen Geschäftsbedingungen, die man für viele Tätigkeiten im Web abnicken muss, haben vor allem einen Zweck: Dafür zu sorgen, dass der Kunde bei Konflikten am kürzeren Hebel sitzt.

AGBs: die allgemeinen Geschäftsbedingungen. Das sind Werke, die von der Länge her ein durchschnittliches George-R.R.-Martin-Buch locker in den Schatten stellen und sich bezüglich Komplexität auf dem Niveau eines James Joyce bewegen – bloss von Juristen verfasst, die ihrer Muttersprache nicht mächtig sind, sondern nur jurisprudentisch können.

Schöne Szene, garstiges Thema. (Bild: Ed Gregory/stokpic.com, CC0)

Ich erlaube mir, hier einmal eine populistische These aufzustellen: AGBs sind bloss dazu da, die Kundschaft zu verscheissern. Oder, etwas weniger reisserisch formuliert: Sie sind ein nützlicher Trumpf, den man bei Streitfällen gerne in der Hinterhand hat. Im Angesicht eines renitenten Kunden zückt der Leistungsanbieter sie mit maliziösem Lächeln und sagt mit unschuldigem Unterton: «… aber sie haben ja unsere AGBs gelesen, hier auf Seite 222 unten steht es…»

Und dann ist man angeschmiert.

Nein, ich habe die AGBs nicht gelesen, schliesslich habe ich ein Leben

Oder ich, weil ich meistens der renitente Kunde bin. Natürlich habe ich die AGBs nicht gelesen, denn schliesslich habe ich ein Leben. Und abgesehen davon, selbst wenn ich sie gelesen hätte, was hätte es mir genutzt? Dass die Bestimmungen zum Problem werden, ist einem erst dann klar, wenn das Problem eingetreten ist. Vorher geht man davon aus, dass mit dem Geschäft alles rundläuft, dass die Ware oder Dienstleistung den Anforderungen entspricht, nichts kaputtgeht oder verdeckte Mängel hat und beide Seiten hinterher glücklich und zufrieden sind.

AGBs werden einseitig aufgestellt und sind daher per se eine unfaire Angelegenheit. Selbst dann, wenn sie sehr einfach abgefasst sind. Ich mache ein Beispiel:

Ich habe neulich im Ochsner Sport in Winterthur Badeshorts der Marke Adidas gekauft. Die AGBs beim Ochsner Sport in Sachen Badekleidung sind in zwei Sätzen zusammenzufassen: Erstens sind sie vom Umtausch ausgeschlossen. Zweitens darf man sie nur über die Unterwäsche anziehen, wenn man sie ausprobiert.

Wenn es an den Testikeln scheuert

Das habe ich gemacht. Als ich die Badeshorts von Adidas zum ersten Mal unter Real- und nicht unter Testbedingungen getragen habe, ist mir sofort ein eklatanter Mangel aufgefallen: Bei Adidas arbeiten offensichtlich Leute, die keine Weichteile besitzen oder bei besagten Weichteilen jeglicher Sensibilität verlustig gegangen sind. Denn ohne hier zu sehr ins Detail zu gehen: Die Shorts schmeicheln der Region nicht, die sie bedecken und beschützen sollten. Im Gegenteil, sie haben nachgerade eine abrasive Wirkung und sollten daher mit keiner Stelle des menschlichen Körpers in Berührung kommen.

Es ist also offensichtlich: Adidas produziert hier ein völlig untaugliches Produkt, das umgehend umgetauscht gehört. Nur eben: Ochsner Sport nimmt keine Badekleidung zurück. Das tun sie wegen der Hygiene: Die Badeshorts, obwohl doch hoffentlich refurbisht, dürfen keinem anderen Kunden zugemutet werden. Nur ist das in dem Fall völlig irrelevant, weil diese Adidas-Badeshorts als Sondermüll in einem atommülltauglichen Endlager verschwinden müssten.

Ein verdeckter, aber ziemlich eklatanter Mangel, Adidas!

Das heisst, obwohl das Produkt von Adidas völlig untauglich ist, kann man es nicht zurückgeben. Man bleibt auf ihm hocken¹. Ich bin kein Jurist, aber nach meiner Laienmeinung ist das ein verdeckter Mangel, den man unter den gegebenen Umständen eindeutig erst nach dem Kauf hat feststellen können. Ein verdeckter Mangel gibt dem Kunden bei rechtzeitiger Mängelrüge nach Schweizer Obligationenrecht das Recht der Wandlung, Minderung oder Ersatzlieferung.

Kann es angehen, dass die AGB-Regelung «Kein Umtausch von Badekleidung» das Obligationenrecht ausser Kraft setzt? Auch als juristischer Laie wird man zum Schluss kommen, dass das nicht der Fall sein darf, weil man sich ansonsten den Terz mit den Gesetzen und Verordnungen auch gleich sparen könnte. In dieser Welt dürfte jeder Laden und jeder popelige Online-Shop sein eigenes Rechssystem auf die Beine stellen.

Ein Affront gegen den gesunden Menschenvertand

Fazit: AGBs sind komplett überflüssig. Gesetz und gesunder Menschenverstand müssten ausreichen. Doch die Unternehmen haben entdeckt, dass sie sich hier einen längeren Hebel gegenüber der Kundschaft verschaffen können – und die Politik hat noch nicht entdeckt, dass man der Wählerschaft einen wirklichen Dienst erweisen würde, wenn man diesem Treiben einen Riegel vorschieben täte.

Der Einwand – Doch was tun mit unvernünftigen, uneinsichtigen Kunden? – den kann man übrigens auch nicht gelten lassen, wenn man die Sache mit dem Rechtsstaat kapiert hat. Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass Ladenbetreiber sowohl in der virtuellen als auch in der realen Welt das Recht haben, Hausregeln aufzustellen.

Selbiges gilt für alle je verfassten End User License Agreements

Es ist sinnvoll und auch für den Kunden hilfreich, wenn man die Gepflogenheiten zum Beispiel zu Rechnungen, Rücksendungen etc. irgrendwo nachlesen kann. Damit kann ich mich einverstanden erklären. Nur müssten die Hausregeln freundlich, einfach und fair formuliert sein und den Kunden im Problemfall nicht im Regen stehen lassen.

PS: Das gilt sinngemäss natürlich auch für Lizenzbestimmungen, Endbenuzter-Lizenzverträge, End User License Agreements oder Eula, oder wie man diese juristisch verklausulierten Publikumsgeiselungsdokumente auch immer nennen will…

Fussnoten

1) Ich habe auch bei Adidas via @adidaseuhelp nachgefragt – nur aus Prinzip und um Adidas die Chance zu geben, Verantwortung für ihr untaugliches Produkt zu übernehmen. Die Antwort lautete wie folgt:

Hallo Matthias, es tut uns zutiefst leid, dass die Badeshorts Ihren Erwartungen nicht entsprechen, das sollte nicht vorkommen. Mit Bedauern müssen wir Sie informieren, dass der Händler Ihr gesetzlicher Vertragspartner ist und daher für Reklamationen und für den Umtausch zuständig ist. Jeder Verkäufer hat seine eigenen Geschäftsbedingungen, die von ihm festgelegt sind. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

4 Kommentare zu «Die Kundschaft verscheissern»

  1. Man kann als Anbieter nicht alle Gesetze durch AGB umdefinieren. Eine Klausel “in Schaltjahren kostet das Abo 1000 Fr./Monat” wäre zum Beispiel ungültig. Wo die Grenze liegt, muss allerdings jeweils ein Jurist beurteilen.

    In Deinem Fall würde ich vom Shop aber ein Entgegenkommen erwarten, einfach, weil er ein Interesse daran hat, Dir auch zukünftig Sachen zu verkaufen.

    Aus gewerblicher Sicht verstehe ich den Nutzen von AGB schon. Beispiel Hoster: schreibt man nicht, dass man ein Webhosting löscht, wenn illegale Inhalte hochgeladen werden, hat man im Zweifelsfall ein Problem mit den Behörden und dem Kunden…

    Was mich aber regelmässig ärgert, vor allem bei amerikanischen Anbietern, ist ein Leistungsversprechen, das dann in den AGB relativiert wird. Auf der Website steht gross “99.99% Verfügbarkeit”. In den AGB wird dann definiert “ausser bei Problemen mit dem Datacenter, Softwarefehlern, Umweltkatastrophen etc.”. So dass eigentlich jeder Grund für einen Ausfall wieder ausgeschlossen wird. Ein “bei Ausfällen Geld zurück” wird dann zu “wenn der Dienst in einem Monat weniger als 99% verfügbar war, gibt es maximal 10% der Abokosten zurück”…

  2. Danke für den Kommentar. Das Beispiel mit den illegalen Inhalten leuchtet ein. Aber würde das nicht unter das gute, alte Prinzip von Treu und Glauben fallen? Klar, dass ein riesiges Lager von MP3s und MP4s auch den Hoster in Verlegenheit bringt.

  3. Treu und Glauben geht wohl bei eindeutig illegalen Inhalten. Aber wenn die Sachlage nicht eindeutig ist, wird es als juristischer Laie schwierig.

    Und manchmal ist es nicht eindeutig: X hat mit Kollege Z eine Firma in Deutschland, in der sie eine Software entwickeln. Nach Streitigkeiten macht Z alleine weiter. X mietet einen Server in der Schweiz und bietet die gleiche Software unter anderem Namen an.

    Ein halbes Jahr später merkt Z das und er schickt dem Hoster eine Mail, in welcher er die Abschaltung des Servers verlangt. Angehängt eine superprovisorische Verfügung eines deutschen Gerichts.

    Man macht X darauf aufmerksam und der droht seinerseits mit einer Klage, würde man den Server abstellen. Schliesslich habe er einen Vertrag.

    Also lässt man sich für 600 Fr. die Stunde von einem Wirtschaftsanwalt die Sache erklären. Ausländische Gerichtsurteile müssen von einem Schweizer Gericht anerkannt werden, damit sie hier vollstreckbar sind. Dies teilt man Z mit, welcher schon eine Betreibung wegen Schadenersatz in Aussicht gestellt hat…

    Hätte man in den AGB geschrieben, dass bei Rechtsfällen der Server bis zur Klärung deaktiviert werden darf, hätte man das Problem nicht gehabt.

    Die Jurisprudenz ist leider keine einfache Wissenschaft… Von daher habe ich Verständnis für vernünftige (!) AGB, erwarte aber auch, dass sich Firmen bei normalen Kunden kulant zeigen und nicht gleich mit den AGB wedeln.

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