Wie meine Eule in den Cyberspace kam

Die Trnio-App erzeugt 3D-Objekte von Gegenständen, indem man die von allen Seiten per Smartphone fotografiert. Das funktioniert erstaunlich gut – und ermöglicht faszinierenden Digitalisierungen.

Hier habe ich seinerzeit die App 123D Catch von Autodesk vorgestellt. Die erzeugte 3-D-Modelle über die Smartphone-Kamera. Man musste das Objekt von allen Seiten fotografieren und erhielt dann ein mehr oder weniger überzeugendes Modell.

Die App wurde Ende des letzten Jahres eingestellt, weil Autodesk sein App-Lineup konsolidieren will, erklärt hier Ralf Steck, der deswegen ein Buch umschreiben muss. Mir ist es auch schon passiert, dass eine App just in dem Moment, wo ich sie vorgestellt habe, aus den Stores verschwunden ist. Zum Glück waren das nur Beiträge hier in diesem Blog. Aber irgendwann mal wird es mich bei einem Video oder einem grossen Beitrag in der gedruckten Zeitung erwischen. Denn für uns Tech-Journalisten gibt es nichts anderes, als mit diesem Risiko zu leben. Versichern dagegen kann man sich nicht. 😉

Bei einem Beitrag von 2012 wird aber mutmasslich niemand reklamieren. Und falls doch, habe ich einen Ersatz: Eine App mit dem unaussprechlichen Namen Trnio, die bislang nur fürs iPhone erhältlich ist (kostenlos). Die ist, um es zurückhaltend zu sagen, um Welten besser als 123D Catch – und müsste unbedingt den Vorzug erhalten, selbst wenn es die App von Autodesk noch gäbe.

Eine automatische Fotoreihe dient als Grundlage fürs 3D-Modell

Sie funktioniert im Grundsatz gleich: Man fotografiert ein Objekt von allen Seiten, und die App baut aus diesen Bildern ein Modell. Anders als bei 123D Catch muss man nicht selbst auslösen. Die App zeichnet mittels Bewegungssensoren die Bewegung um das Objekt selbst auf und macht automatisch so viele Fotos, wie sie braucht. Die Sensordaten helfen auch beim Zusammenbauen der Objekte, weil die App eine ungefähre Angabe hat, aus welcher Richtung eine einzelne Aufnahme stammt.

Das funktioniert wie erwähnt erstaunlich gut: Mein erstes Versuchsobjekt war eine kleine, auf Santorin gekaufte Eule aus Stein. Ich habe sie erst vor der Kamera gedreht, was natürlich nicht der richtige Ansatz ist, weil die App auf diese Weise keine Bewegungsdaten erhält. Beim zweiten Anlauf hat es sofort geklappt: Aus 59 Fotos hat die App ein Modell gebaut, das keine sichtbaren Fehler hat, obwohl die Vorlage nicht optimal beleuchtet war und das Umrunden alles andere als einfach war.

Das Objekt sollte möglichst frei stehen

Idealerweise stellt man seine Objekte nämlich auf eine Säule oder einen Sockel, sodass man entspannt darum herumgehen kann und immer ungefähr den gleichen Abstand zum Objekt hat. Da es in meiner Wohnung keine Säulen oder Sockel gibt, habe ich die Eule auf den Boden gestellt und habe sie kriechenderweise umrundet: nicht optimal.

Fazit: Ein echter Geheimtipp. Allerdings ist auch die nicht unfehlbar. Im Video wird empfohlen, keine sich bewegenden Objekte zu scannen. Auch mit Dingen mit einer uniformen oder glänzenden Oberfläche, sehr dünnen und komplexen Strukturen oder transparenten Materialien kommt die App nicht zurecht. Aber: Gesichter lassen sich sehr gut digitalisieren, wenn man, wie empfohlen, von Ohr zu Ohr wandert und die Unterseite des Kinns sowie die Oberseite des Kopfs mitnimmt.

Verarbeitung in der Cloud

Die Modelle werden online verarbeitet, was zu Wartezeiten führen kann. Sind sie fertig, kann man sie auch herunterladen. Das funktioniert nicht wie hier im Tutorial beschrieben. Über den Teilen-Knopf erhält man die Möglichkeit, sich per Mail den Download-Link zuzusenden.

Man erhält dann, in gezippter Form, das Modell im .ply-Format mit der Textur, die man unter Windows 10 mit der (standardmässig vorhandenen) App 3D Builder öffnen kann. Da lässt sich das Modell dann auch bearbeiten und korrigieren. Im Fall meiner Eule kann man sie beispielsweise drehen und auf den Boden setzen – standardmässig schwebt sie nämlich in einem seltsamen Winkel über dem Boden.

Bearbeitung des Modells in 3D Builder von Windows 10.

3D Builder reklamiert auch, es müssten Korrekturen vorgenommen werden. Was das heisst, wenn man das Objekt beispielsweise 3D-drucken möchte, habe ich nicht ausprobiert.

Man kann sein Objekt auch aus der App an sketchfab.com weitergeben. Das ist eine Plattform zum Austausch von 3D-Objekten. Die Verbindung der Konten ist etwas ungewöhnlich: Man erhält das Token per Mail und muss es in die App eintragen. Aber es funktioniert jedenfalls. Hier gibt es die Eule zu sehen. Im Editor von Sketchfab kann man übrigens auch wunderbar die Ausrichtung korrigieren, sodass die Eule jetzt gerade auf dem Boden sitzt.

3D-Ojbekte tauschen

In Sketchfab.com darf man seine Modelle mit einer Creative-Commons-Lizenz zur Verfügung stellen – was bei einem eingescannten Kunstobjekt natürlich interessante Fragen aufwirft: Darf man das einfach ohne weiteres reproduzieren? Wahrscheinlich bräuchte man, analog zur Fotografie, eine Art Model Release des Künstlers. Andererseits ist eine in Plastik ausgedruckte Variante einer Steinfigur auch nur ein sehr blasses Imitat…

Zurechtrücken der Eule im Editor von Sketchfab.com.

Apropos drucken: Bei Sketchfab.com kann man die Modelle nicht ausdrucken. Wenn man die Trnio-Objekte richtig aufbereitet, sind sie aber offenbar druckbar. Jedenfalls gibt es bei einzelnen Modellen auf der Website einen Link zu myminifactory.com. Und dort erhält man druckbare 3D-Modelle: «100% printable», wie es heisst…

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