Zum Kugeln!

Nikon Keymission 360 ist eine Kamera für 360-Grad-Videos. Die sind eindrücklich, doch auch knifflig in der Nachbearbeitung. Tolle Resultate erzielt man mit der Spatial Media Metadata Injector-Software.

Ich hatte das Vergnügen, eine Nikon Keymission 360 zu testen (um ca. 460 Franken, Amazon Affiliate). Das Fazit war recht positiv: Mir gefällt die Kamera, auch wenn ich sie mir selbst nicht kaufen würde. Da ich keine actionreiche Sportart betreibe, gäbe es zu wenige Gelegenheiten für spektakuläre Einsätze.

Während die Hardware also ganz okay ist, hat mich die Software nicht überzeugt. Nikon liefert ein Programm namens KeyMission 360/170 Utility, dessen Name genauso sperrig ist wie seine Bedienung. Immerhin: Man schafft es damit, die Clips von der Kamera auf den Computer zu kopieren.

Ich sehe zwei Möglichkeiten für eine Bearbeitung. Erstens:

Wenn man ein 360°-Video für Youtube oder Facebook machen will, dann kann man dafür seine herkömmliche Videoschnittsoftware verwenden. Die zeigt einem zwar das sphärischen Panorama an, aber man kann die Clips bearbeiten, wie man das mit normalem Material auch tun würde. Nach dem Export muss man die Datei noch einmal durch die Mangel drehen und mit den Metadaten versehen, die sie als Rundum-Video auszeichnen.

Das Video als 360-Grad-Produktion auszeichnen

Dazu gibt es ein exquisites Programm namens Spatial Media Metadata Injector auf Github. Da hakt man die Box My video is spherical (360) an und speichert. Zwei weitere Boxen können aktiviert werden, wenn es sich um stereoscopic 3D handelt oder eine Tonspur mit spatial audio vorhanden ist, was immer das auch sein mag.

Auf seinem eigenen Planeten lustwandeln…

Zweitens – und das dürfte wohl der häufigere Fall sein – will man aus dem Video mit dem sphärischen Panorama ein ganz normales Video machen. Dann kann man es nämlich mit jedem beliebigen Player wiedergeben und auch am Fernseher betrachten. Und abgesehen davon eignet sich interaktives Rundum-Video sowieso nur für wenige besonders imposante Szenerien. Seine flach geklopfte Aufnahme hingegen kann man mit Material mischen, das mit einer normalen Kamera aufgenommen wurde.

Der tolle Little-Planet-Effekt im Video

Dennoch verspielt man sich die Vorteile des sphärischen Panoramas nicht: Man hat die Möglichkeit, nachträglich den besten Ausschnitt aus der Aufnahme zu nehmen oder sogar virtuelle Kamerafahrten bzw. Schwenks auf dem Material ausführen. Man darf sich eine Fischaugen-Ansicht generieren lassen oder im Split-Screen nach vorn und hinten blicken. Oder man verwendet den Little-Planet-Effekt, von dem nicht nur ich ein grosser Fan bin und der mit Bewegtbildern noch spektakulärer ausschaut.

Dafür braucht man allerdings ein Programm, das aus dem sphärischen Panorama eine normale, «flache» Ansicht rechnet. Zu diesem Zweck habe ich das Programm Insta360 Studio gefunden, das es für Windows und Mac gibt. Das ist nun auch nicht gerade ein Wunder an Benutzerfreundlichkeit, aber es erfüllt seinen Zweck.

Man lädt in der Software seine Clips und findet dann zwei Modi vor. Im Pano Player spielt man seine Clips ab, doch für die Bearbeitung will man zu Recorder wechseln. (Warum auch immer der Modus so heisst – Editor wäre passender.) Rechts findet man dann die Einstellungen zum Export, inklusive Auflösung, Dateiname und Ausgabeordner. Und man sollte das wahrscheinlich unerwünschte Insta-360-Logo ausblenden.

Vier Varianten für die Projektion

Am unteren Rand gibt es eine Zeitleiste, wo man das Video trimmt. Das wichtigste Element ist das unscheinbare Fadenkreuz, das für Frame Parameter steht. Klickt man es an, erscheint links unten ein Fensterchen mit vier Render-Varianten:

  • Die erste (Default) erzeugt eine Fischaugen-Projektion mit einem Blickwinkel von über den Daumen gepeilt 180°.
  • Die zweite Variante heisst Perspective. Sie nimmt einen engeren Ausschnitt, der auch keine fischaugen-artigen Verzerrungen mehr hat. Diese wird man verwenden wollen, wenn das Material unauffällig mit normalen Clips gemischt werden soll.
  • Die dritte Variante ist die spektakulärste. Sie erzeugt den Little Planet (auch Tiny Planet genannt), indem die normalen Koordinaten in Polarkoordinaten umgerechnet werden.
  • Viertens Sphere: Diese Variante rechnet eine Kugel, was in gewisser Weise noch lustig ist, aber dann doch nicht so verblüffend wie der Little Planet.

Beim Fenster Frame Parameter findet man auch die numerischen Parameter, die für die Berechnung der jeweiligen Projektion benutzt werden. Beim Little Planet sind das u.a. der Drehwinkel, die Entfernung (wie gross oder klein der Planet erscheint), das Sichtfeld (field of view oder FOV) und der Neigungswinkel (tilt angle).

Der eigentliche Clou ist nun, dass man diese Werte für ein Einzelbild (frame) festlegt. Wenn man Werte nach ein paar Frames verändert, dann berechnet die Software zum vorherigen Wert automatische Übergangsstufen. Entsprechend ist es einfach, einen virtuellen Schwenk auszuführen: Man wählt den Ausschnitt, wie man ihn am Anfang haben will, lässt das Video bis zu dem Zeitpunkt laufen, an dem der Schwenk zu Ende sein soll und dreht per Maus den Ausschnitt so, dass das Ziel des Schwenks erreicht ist.

Virtuelle Schwenks ausführen

Und schon sorgt die Software dafür, dass die entsprechende «Bewegung» im Bild ausgeführt wird.

Der Spatial Media Metadata Injector ist auch nicht gerade eine App für Hipster. Sie erfüllt aber ihren Zweck.

Und auch das geht: Von einer Projektion zu einer anderen zu wechseln und unter anderem virtuell aus der Little-Planet-Ansicht zur Fischaugen– oder zur Perspective-Ansicht morphen: Das sieht extrem spektakulär aus!

Wenn man seine Keyframes entsprechend gesetzt hat, exportiert man sein Video. Dazu klickt man auf Export to. Es dauert etwas, bis das Resultat gerendert ist. Es gibt eine Warteschlange rechts unten, die aber nur sichtbar ist, wenn man nach unten scrollt.

Fazit: Das Interface könnte eine massive Verbesserung erfahren – aber abgesehen davon macht das Experimentieren mit dieser Software wirklich Spass!

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