Was passt dem Hosenscheisser nicht?

Hunger, Müdigkeit, Bauchweh oder Liebesbedürftigkeit? Die App Baby Cries Translator behauptet, die Lautäusserungen des Nachwuchses übersetzen zu können.

Dank dem schönen Umstand, seit neun Monaten Vater zu sein, kann ich nun Apps testen, die vor zehn Monaten absolut kein Thema waren. Zum Beispiel die tollen Apps, die ich in diesem Video vorgestellt habe. Oder die App Baby Cries Translator, die es für 3 Franken für Android und das iPhone gibt.

Hungrig oder liebesbedürftig?

Die App macht genau das, was sie verspricht: Sie übersetzt das Weinen des kleinen Erdenbürgers in eine für uns Erwachsene verständliche Botschaft. Die App basiert, so steht es im Artikel des für Qualitätsjournalismus weiterherum bekannten Mediums «Daily Mail», auf echtem Geschrei: 200′000 Lautäusserungen von 100 Babys wurden ausgewertet. Die Genauigkeit sei 92 Prozent für zwei Wochen alte Kinder, 85,4 Prozent nach einem Monat, 83,8 Prozent nach zwei Monaten und 77 Prozent nach vier Monaten, so steht es auf der Website des Herstellers.

Je älter das Kind, desto spekulativer die Übersetzung

Die Genauigkeit für ein Kind von neun Monaten steht nirgends, aber es ist anzunehmen, dass die schon in einem Bereich liegt, wo man mit Raten, bzw. mit eigener Erfahrung genauso treffsicher ist. Aber ich habe es leider nun einmal verpasst, die App zu testen, als meine Tochter noch präziser zu analysieren war. Doch damals war das Bedürfnis nach einer solchen App nicht vorhanden, weil die Bedürfnisse der Tochter meistens völlig klar waren.

Mit anderen Worten: Das Problem dieser App liegt darin, dass ihre Treffsicherheit im gleichen Mass sinkt, wie der Bedarf an Interpretationshilfe wächst. Anfänglich ist ein Kind, zumindest wenn es keine Schmerzen hat und nicht krank ist, leicht zu durchschauen. Doch mit den Monaten kommen neue Gründe für Unmutsäusserungen dazu, namentlich das gefürchtete Quengeln. Das signalisiert nicht immer nur Hunger, Müdigkeit, volle Windel oder den Wunsch nach Nähe. Man bekommt es auch zu hören, wenn es nicht nach dem Willen des Kindes geht, das nun unbedingt das iPhone oder die Brille seines Vaters haben will, lieber am Boden spielen statt in seinem Stuhl sitzen möchte oder generell findet, in dieser Wohnung sei im Vergleich mit der Kita einfach viel zu wenig los.

Das Geschrei aufnehmen … und auf dem Server analysieren.

Ein Manko, das die App deutlicher herausstreichen könnte, das man ihr aber nicht grundsätzlich ankreiden kann. Es ist schliesslich unvermeidlich, dass aus Babys irgendwann mal Kinder und Teenager werden, die mehr als ein paar Grundbedürfnisse haben. Die App funktioniert so, dass man zehn Sekunden lang Geschrei aufzeichnet. Die Aufnahme wird auf den Server hochgeladen und analysiert, und man erhält die «Übersetzung» zurück.

Hokuspokus?

Das könnte nun reiner Hokuspokus sein, wie zum Beispiel die Hotlines, bei denen man in den Hörer hustet und man hinterher gesagt bekommt, welche Pastillen man nun lutschen sollte¹. Ist es aber nicht: Bei nicht so eindeutigen Lautäusserungen des Kindes oder selbstgemachten Geräuschen wie ein Räuspern meinerseits meldet die App «Unrecognized» zurück. Beim erfolgreich analysierten Gebrüll war die Trefferquote etwa halb-halb. Ein Geschrei pünktlich zur Essenszeit wird meistens absolut richtig als Hunger identifiziert. Die Meldung «Pacify» («Gib ihm den Schnuller») habe ich schon bei Müdigkeit gesehen. Das ist nicht komplett falsch, aber «Müde» wäre passender.

Man kann bei falschen Analysen eine andere Meldung auswählen, was zu einer Verbesserung der Resultate führen soll. Die App ist nämlich (angeblich) maschinell lernfähig.

Interessant ist jedenfalls, dass die App unabhängig von Nationalität, Rasse und Geschlecht funktioniert. Das Geschrei scheint noch universell zu sein, während sich beim Plappern dann schon sprachliche Unterschiede festmachen lassen. Doch wenn das stimmt, frage ich mich, warum man die Nationalität des Kindes angeben muss. Um die Datensammelleidenschaft des App-Herstellers zu befriedigen?

Das war kein Babygeschrei, sondern der Papa (links).

Datensammelei… und eine unbrauchbare Eingabe fürs Herkunftsland.

Die Eingabe über das Drehrad ist jedenfalls maximal benutzerunfreundlich. Bis zum S für Switzerland zu drehen, dauert etwa fünf Minuten. Und dann findet man Switzerland nicht, weil die Liste nicht alphabetisch sortiert ist. Sowas würde man herausfinden, wenn man die App fünf Minuten lang getestet hätte.

Der Elterninstinkt ist der bessere Ratgeber

Fazit: Eine interessante Spielerei, der ich nicht allzu viel Bedeutung beimessen würde. Aber als Nerdpapa musste ich die App natürlich trotzdem ausprobieren.

Fussnoten

1) Eine ARD-Sendung, zu der ich leider keinen Link gefunden habe, hat herausgefunden, dass einzelne solcher Hotlines immer zum Resultat «Trockener Reizhusten» kamen, selbst wenn man eine Katze in den Hörer hat miauen lassen.

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