Wie ein Matheproblem eine spannende Scifi-Story abgibt

«The Three-Body Problem» von Liu Cixin ist span­nende Science­fiction-Lektüre mit der packenden Frage, wie es wäre, in einem Univer­sum mit drei Sonnen zu leben – und eine gute Ge­le­gen­heit, den litera­rischen Hori­zont Richtung Osten zu erwei­tern.

Neulich musste ich eines meiner Vorurteile über Bord werfen. Das Vorurteil, das mir explizit gar nicht bewusst war, lautete: Mir gefallen nur «westliche» Bücher. Geschichten aus allzu fernen Kulturkreisen sind mir so fremd, dass ich keinen Weg in die Geschichte hineinfinde.

… today, the universe blinks for you. (Im Buch sind die Worte an Wang Miao gerichtet.)

Nun habe ich mich trotzdem an das Buch «The Three-Body Problem» (三体, Wikipedia, Amazon) herangewagt. Es stammt vom chinesischen Autor Liu Cixin, der wissenschaftlich orientierte Sciencefiction schreibt – wie man schon am Titel merkt: Das Dreikörperproblem ist eine reale Aufgabe in der Astrophysik, bei der es darum geht, in einem System mit drei sich anziehenden Himmelskörpern die Bahnen zu berechnen.

Bevor ich nun ein bisschen was über den Inhalt des Buchs sage, hier das Fazit – denn wie üblich gilt, dass die inhaltliche Beschreibung so viele Spoiler enthält, dass man sie nur lesen sollte, wenn man das Buch wahrscheinlich selbst nicht lesen wird oder es bereits kennt.

Also, das Fazit: Mir hat «The Three-Body Problem» viel Spass gemacht: Es ist ein kluges Buch, das vorexerziert, wie man aus einem mathematisch-theoretischen Problem eine spannende Geschichte strickt. Diese ist, wie es bei guter Science Fiction immer der Fall ist, in der uns bekannten Welt verwurzelt.

Eine der Hauptfiguren ist Ye Wenjie (叶文洁), die während der Kulturrevolution ihren Vater verloren hat, der angeblich westliche Forschung betrieben hat und von seiner Frau und von Studenten verpetzt wurde. Ihre Motivation ist gut abgestützt und hervorragend nachvollziehbar – und auch wenn sich der Autor mit politischen Kommentaren zurückhält, fand ich es grundsätzlich überraschend, dass ein chinesischer Autor die Vorgänge so kritisch schildern kann, ohne dass die Zensur zuschlägt. Aber mir ist auch aufgegangen, dass ich keine Ahnung habe, wie weit in der chinesischen Literatur historische Schilderungen möglich sind, die die offizielle Geschichtsschreibung nicht eins zu eins reflektieren.

Ein Videospiel ist der Schlüssel zur Lösung des Rätsels

Die Verbindung der ausserirdischen, dem Dreikörperproblem ausgesetzten Welt mit unserer Erde ist geschickt eingefädelt und wie die zweite wichtige Figur der Geschichte, der Nanotechnologie-Forscher Wang Miao (汪淼) dieser Beziehung mittels eines geheimnisvollen Videospiels auf die Schliche kommt, überaus geschickt eingefädelt.

Auch der Klimax der Geschichte, bei der Fäden aus seinem Nanomaterial eine wichtige Rolle spielen und eine epochale Verschwörung gegen die ganze Menschheit aufgedeckt wird, lässt nichts zu wünschen übrig. Und die Idee des «menschlichen Computers» ist grossartig! Es gibt im Buch ein interessantes Figurenpanoptikum, zu dem arrogante Militärs und ein naturromantisierender Miliardärssohn (Mike Evans) gehören. Und das Ende macht Lust auf die beiden weiteren Bände der Trilogie, «The Dark Forest» (黑暗森林) von 2008 und «Death’s End» (死神永生) von 2010.

Im Juni 2016 kommt die Verfilmung ins Kino.

Mit anderen Worten: Das Buch überzeugt beim Plot, erzählt spannend, hat das richtige Personal und beweist ein für alle Mal, dass man sich als westlicher Leser auch in einem chinesischen Erzählerkopf sehr heimisch fühlen kann. Besonders empfehlenswert ist die Hörbuchversion, die von dem von mir sehr geschätzten Luke Daniels gesprochen wird, der auch die Bücher von Scott Meyer liest und auch den chinesischen Namen gewachsen ist. (Soweit ich das beurteilen kann.)

Die chinesischen Namen sind eine Herausforderung

Apropos Namen: Die stellten für mich das grösste Problem dieses Buchs dar. Ich habe oft bei Büchern das Problem, mir zu merken, welche Figur nun welchen Namen trägt. Das wird bei chinesischen Namen wie Yang Weining und Lei Zhicheng nicht einfacher – aber glücklicherweise gibt es bei Wikipedia eine Übersicht.

Soweit das Fazit. Hier also das spoilerige Spotlicht auf den Inhalt:

Das Dreikörperproblem ist mathematisch ausserordentlich schwierig in den Griff zu bekommen. Und das ist im Buch kein theoretisches Problem, sondern eines, das den Bewohnern der Trisolaris-Welt das Dasein zur Hölle macht. Sie leben nämlich in einem System mit drei Sonnen und sind den chaotischen Abläufen ihrer Himmelsmechanik schutzlos ausgeliefert.

Die drei Sonnen beeinflussen sich so, dass nicht jeden Morgen immer die gleiche Sonne aufgeht. Nein, manchmal erscheint lange keine Sonne – worauf dann plötzlich zwei oder drei am Himmel stehen oder sich sogar in einer Reihe hintereinander aufreihen und eine unglaubliche Hitze auf den Heimatplaneten strahlen. Die Zivilisation auf der Trisolaris-Welt hat gelernt, damit umzugehen. Bewohner können in lebensfeindlichen Phasen dehydriert und «aufbewahrt» werden, um in Phasen der relativen Ruhe reaktiviert zu werden. Dennoch ist die Kultur schon x-mal untergegangen, um wieder neu zu entstehen.

Wir lernen die Kultur in Form eines Videospiels kennen, das auf der Erde einem kleinen Kreis von Spielern zugänglich gemacht wird, um sie für die Trisolaris-Welt empfänglich zu machen. Der Spieler erlebt mit, wie frühzeitliche Inkarnationen der trisolarischen Kultur das Phänomen mystisch und religiös erklären. Dann entdecken die Trisolaner die Wissenschaft und kommen dem Phänomen auf die Schliche – erkennen aber auch, dass die Berechnung ohne Hilfsmittel unmöglich ist. Da der Computer nicht erfunden ist, konstruieren sie einen Computer aus den riesigen Armeen des Königs. Die Soldaten werden darauf trainiert, auf den Input anderer Soldaten zu achten und darauf mittels Fahnen den richtigen Output zu liefern.

Das Chaos lässt sich nicht beherrschen

Die Ausserirdischen schwingen sich zur Hochkultur auf und müssen erkennen, dass sich der Zustand ihres Systems nicht mit ausreichender Genauigkeit feststellen lässt und sich das Chaos nicht beherrschen lässt. Sie beschliessen daher auszuwandern. Und da kommt es ihnen gelegen, dass die Erde durch ein beeindruckendes Experiment mit Radiosignalen, die mittels Sonne massiv verstärkt werden, gerade klar und deutlich auf sich aufmerksam gemacht hat.

Die Erde bietet sich als Ziel für diese Invasion an. Und es gibt auf der Erde offensichtlich Kollaborateure, die diese Invasion begrüssen: Leute, die von der Menschheit so enttäuscht sind, dass sie überzeugt sind, dass es mit den Ausserirdischen nur besser werden kann. Im Zentrum dieser Verschwörung, der nichts weniger als Planetenverrat darstellt, steht Ye Wenjie. Sie ist nach dem Verrat an ihren Eltern und dem Verrat an ihr selbst, ausgeübt durch einen Kollegen, für den sie doch bloss ein staatskritisches Manuskript abgeschrieben hat.

Zeit, sich auf die Invasion vorzubereiten

Die Invasion wird, aufgrund der interstellaren Distanzen, erst in 400 Jahren erfolgen. Doch bis dahin sind die Trisolaner nicht untätig. Sie schicken zwei Supercomputer in Form von Protonen, die die wissenschaftliche Entwicklung auf der Erde blockieren. Nebst dem «menschlichen Computer» ist das der zweite fantastische Computer in diesem Buch: Er lässt sich bauen, indem die elf Raumzeitdimensionen aufgefaltet werden: In der zweiten Dimension lassen sich auch extrem komplexe Strukturen im Proton unterbringen.

Am Ende der Geschichte wird die «Judgement Day» mithilfe von Wang Miaos Nanofäden versenkt. Sie ist das Schiff der Verschwörer, die sich «Earth-Trisolaris Organization» (ETO) nennen, und sie enthält Details zum Invasionsplan – und die Information, dass die Trisonaner keine Koexistenz mit den beabsichtigen, sondern diese für Käfer halten…

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