Peeken und poppen muss man erst lernen

Die grosse Hardware-Neuerung beim iPhone 6 ist 3D-Touch: Das Telefon reagiert nun auf unterschiedlich starken Druck. Das eröffnet neue Bedien-Methoden. Allerdings muss man die erst verinnerlichen – und dabei hilft einem das Betriebssystem leider nur wenig.

Seit knapp drei Wochen habe ich ein iPhone 6S (als Testgerät von Apple) im Einsatz. Als erstes kleines Fazit lässt sich festhalten, dass es viele kleine Verbesserungen gibt, die angenehm auffallen: Namentlich der schnellere Prozessor, der aufgestockte Arbeitsspeicher und der subtilere Vibrationsmotor (Taptic Engine).

Und der wirklich rasend schnelle Touch-ID-Fingerabdrucksensor. Das grösste Manko ist geblieben, nämlich die für meinesgleichen viel zu kurze Batterielaufzeit. Dass man als Intensivnutzer eines neuen Geräts mit «gesundem» Akku gerade so über den Tag kommt, ist eigentlich ein Konstruktionsfehler. An den wir uns alle gewöhnt haben und dem wir mit Powerbanks und strategisch geschickt verteilten Ladekabeln entgegenwirken.

3-D Touch bringt eine Art Kontextmenü fürs iPhone.

Die grösste Neuerung des iPhone 6s ist bekanntlich 3-D Touch. Was für ein blöder Name übrigens – oder hat schon jemand eine Delle in sein Display gedrückt? Die neue Funktion mit dem blöden Namen hat, was mein Leben angeht, bis jetzt nicht «alles verändert». Peek und Pop – also das Anzeigen einer Voransicht mit leichtem Druck und das definitive Öffnen mit stärkerem Pressen – könnten eine echte Hilfe sein. Wenn man sie denn verinnerlicht hätte.

Doch mit dem Verinnerlichen ist es so eine Sache: Mir fällt immer erst eine Millisekunde nachdem ich eine Sache auf die «altmodische» Weise erledigt habe, dass ich hier ja hätte peeken und/oder poppen können. Es gibt keine Gedächtnisstütze in der Benutzeroberfläche. Man muss sich merken, bei welcher App und an welcher Stelle es sich lohnt, fester zu drücken. Und wenn man zum iPad zurückwechselt, muss man wieder zum alten Benutzungsmuster zurückfinden, weil es dort kein 3-D-Touch gibt. Übrigens – habe ich schon erwähnt, dass ich den Namen blöd finde, weil die Bezeichnung «3-D» verbrannt ist, seit uns die Fernsehgerätehersteller vergeblich versuchen, die Geräte schmackhaft zu machen, die man mit Brille benutzen muss?

Mal wackelt es, mal nicht

Mein grösstes Problem ist allerdings, dass 3-D-Touch kontraintuitiv arbeitet: Wenn ich eine App im Homescreen feste drücke, bringe ich häufig die Icons zum Wackeln. Offenbar gehe ich einfach zu zaghaft ans Werk. Etwas besser ist das geworden, nachdem ich in den Einstellungen bei Allgemein > Bedienungshilfen > 3D Touch die 3D-Touch-Empfindlichkeit von Mittel auf Leicht verändert habe. Jetzt schaffe ich es dafür kaum mehr, die Icons zum Wackeln zu bringen, falls ich mal tatsächlich eine App verschieben oder löschen will. Das kann natürlich an mir und meinen unsensiblen Fingerkuppen liegen – oder daran, dass sich die bekannte Funktion des Drückens und Haltens nicht klar von den neuen 3-D-Touch-Funktionen peek und poke unterscheiden.

Nach meinem Verständnis müsste die Sache so funktionieren, wenn sie intuitiv sein sollte:

  • Ganz leicht drücken = nur mal Optionen einsehen («peeken»), aber nichts tun
  • Mittel drücken = etwas tun, z.B. von der Voransicht zu der vorangezeigten Seite wechseln («poken»)
  • Fest drücken = in den Konfigurationsmodus wechseln, z.B. Icons zum Wackeln bringen

Vorläufiges Fazit zum iPhone 6S: Solide Modellpflege – das schafft Apple mit dem neuen Gerät auch dieses Mal. Ein Umstieg drängt sich nur auf, wenn man mindestens zwei Generationen hinterherhinkt. Im direkten Vergleich ist das iPhone 6 nach wie vor ein ausgezeichnetes Smartphone und selbst das iPhone 5s macht eine gute Falle, abgesehen vom Fingerabdrucksensor, der bei dem Gerät noch nicht so ganz auf der Höhe war. 3-D Touch ist nicht ausgereift.

Die Grundsatzidee halte ich für bestechend: Eine Bedienung, mit der man Objekte nicht nur horizontal und vertikal, sondern auch in der Tiefe beeinflussen kann, könnte eine «organischere» Interaktion mit dem Gerät ermöglichen, als das bisher der Fall war. Doch dazu kann man nicht einfach ein paar Popup-Menüs an Icons und Links kleben. Die ganze Benutzerführung des Systems muss darauf ausgelegt sein.

Zeit, sich daran zu gewöhnen

Allerdings ist Apple nicht dafür bekannt, Dinge über den Haufen zu werfen. (Ausnahmen wie die Ablösung von iPhotos und Aperture durch die Fotos-App bestätigen die Regel.) Darum ist anzunehmen, dass 3-D-Touch nun mit jedem System-Update etwas mehr können wird. Ich rechne beispielsweise damit, dass mit iOS 10 einige Druckstufen dazukommen werden – und man vielleicht anstelle des Pickers (siehe iOS Human Interface Guidelines) man einen Wert erhöhen kann, indem man stärker drückt und so ein sehr kompaktes Control für numerische Vorgaben erhält. Und in dem Fall ist eine langsame Adaption auch nicht verkehrt. Dann haben nicht nur Leute wie ich Zeit, sie zu verinnerlichen. Sondern auch die Entwickler, die damit schlaue Dinge anstellen sollten.

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