Flattr ist gescheitert, 0-Click ist die Lösung

Flattr als Social-Payment-Service hat die Erwartungen nicht erfüllt. Mit Medienprodukten Geld zu verdienen, bleibt extrem schwierig. Wie könnte es weitergehen? Ich propagiere ein System, das die Medienbranche revolutioniert. Es heisst 0-Click und führt am Ende sogar dazu, dass Werbung nicht mehr lästig ist.

Inhalte im Internet zu Geld zu machen: Ein Thema, über das ich mich in letzter Zeit mit diversen Leuten unterhalten habe. Andreas Von Gunten hat mir gesagt, Paywalls würden nicht funktionieren. In privaten Gesprächen habe ich vor allem Ratlosigkeit gehört – und Unsicherheit, wie das noch weitergehen könnte.

So hat man Medien gestern verkauft. Aber wie könnte es heute gehen?

Dieses Blog ist mein kleines Versuchsprojekt in Sachen Geld verdienen mit dem Internet. Und bei dem ist die Diskrepanz zwischen meinen Ansprüchen Wünschen und der Realität unübersehbar. Ein kleiner Hoffnungsschimmer ist die Werbung von Google. Adsense bezahlt die Domäne und das Hosting und wirft ein bescheidenes Taschengeld ab.

Flattr andererseits ist auch zwei Jahre nach der Einführung hier im Blog völlig vernachlässigbar. (Was nicht heisst, dass ich den treuen Seelen, die mich ab und zu flattern, nicht dankbar wäre!) Diese Tatsache kann Selbstzweifel wecken: Biete ich zu wenig Interessantes an? Schreibe ich langweilig oder an den Lesern vorbei? Habe ich die Zeichen der Zeit verpasst? Sprich: Sollte ich die sattsam bekannten Klicksteigerungsmechanismen der grossen Online-Medien adaptieren?

Die Antwort ist natürlich nein¹. Blogs leben von der Authentizität ihrer Autoren und davon, dass sie nicht das gleiche tun wie die Newsportale. Ausserdem zeigt ein kleiner Streifzug durch den Flattr-Catalog Interessantes – dort sind nämlich die Topverdiener mitsamt ihren Einkünften ausgewiesen. Die beiden Zampanos der Podcast-Szene, Tim Pritlove (264’842 Flattrs) und Holgi (130’826 Flattrs dürfen auf Flattr als Standbein zählen. Auch ein Alexander Olma vom iphoneblog.de (20’217 Flattrs) wird Flattr so langsam in seine Kalkulation miteinbeziehen können. Wenn man einen einzelnen Flattr-Klick mit 20 oder meinetwegen sogar mit 50 Cent ansetzt, versprechen diese Zahlen aber nach wie vor keinen Reichtum. Noch nicht mal ein sicheres Auskommen.

Nur ein Filter-bubble-Ding

Mein Top-Element, das mir 12 Flattr-Klicks eingebracht hat, war der Beitrag Die real existierende Schweizer Podcastszene, in dem ich über einen Besuch des besagten Herrn Pritlove in Zürich geschrieben habe. Dieses Posting war nun keine besondere bloggerische Leistung – aber es hat in der Community gepunktet, für die das Flattrn eine Selbstverständlichkeit ist. Ich weiss nicht genau, wie man diese Community einkreisen würde. Aber sie firmiert sich wohl um den deutschen CCC und die Hackerszene mit ihren Kongressen, Camps und sozialen Seilschaften. Die Schweiz steht mehrheitlich ausserhalb dieser Comunity und all die Blogger, die nicht über Tech, Hacking und Fanboytum schreiben, sowieso. Generell muss man sagen: Flattr in der Schweiz nicht Fuss gefasst².

Ist Flattr in Gänze gescheitert? In der Hoffnung, ein paar Klicks zu garnieren, behaupte ich das in der Überschrift. 😉

Bis jetzt ist nicht allzu viel kleben geblieben. (Bild: Flattr/Flickr.com)

Nein, ganz im Ernst: Flattr ist gescheitert. Um interessant zu sein, braucht es ein System, das nicht nur in einer Nerdcommunity mit ihrer Filterblase funktioniert, sondern auf breiter Basis. Das man für kleine Blogs und für grosse Newsportale gleichermassen nutzen kann. Und das nicht eine mitleidige Spende darstellt, sondern ein echter, ernstgemeinter Beitrag an die Erstellung eines Medienprodukts ist – so wie früher der Preis einer Zeitung am Kiosk.

0-Click: Bezahlen, ohne dass man etwas davon merkt

Darum hier ein Gedankenexperiment: Wie wäre es, wenn die Verleger hierzulande ihre Firewalls abhärten würden? Und zwar so, dass man nicht mehr durch die Paywall hindurchkommt, indem man seine Cookies löscht, den Browser wechselt oder den privaten Surfmodus einschaltet. Nein: Inhalte gibt es nur noch gegen Bares. Bezahlt wird pro Artikel. Über ein System, das über die grossen Portale hinweg funktioniert und an dem auch wir kleinen Blogger partizipieren können.

Das könnte so gelöst sein, dass man als Nutzer sich um die Bezahlung einzelner Artikel keine Gedanken zu machen braucht, weil im Hintergrund automatisch bezahlt wird. Man muss nirgendwo draufklicken, sich nicht einloggen. In Anlehnung an Amazons 1-Click nenne ich das mal 0-Click.

… und stelle diese Idee auch gleich mit Creative Commons Attribution ins Netz. Bitte schön:

0-Click funktioniert wie folgt: Man richtet das System einmal ein, hinterlegt Geld oder verbindet es mit seinem Bankkonto, gibt einen Geldbetrag als täglichen, wöchentlichen oder monatlichen Schwellenwert ein und surft los. Man klickt, liest, klickt weiter, nutzt Twitter, Facebook, so wie bisher.

Der Schwellenwert verhindert, dass man sich ins Armenhaus surft. Überschreitet man ihn, erhält man eine Warnung im Stil von: «Hey, du hattest aber einen ziemlichen Medienkonsum. Dein Budget von 5 Franken pro Tag ist fast aufgebraucht.»

Die Preise pro Artikel, Blogpost oder, im weitesten Sinn Medieneinheit müssten so gesetzt sein, dass sie für den Surfer berechenbar und «vernünftig» bleiben, aber dennoch einen substantiellen Beitrag für den Autor liefern. Diskussionsbasis: Irgendwo zwischen 5 bis 20 Rappen. (Oder Cent. Macht heutzutage keinen Unterschied.) Nachfolgend rechne ich immer mit 10 Rappen/Cent.

Als intensiver Mediennutzer, der 50 Artikel pro Tag liest, zahlt man bei 10 Rappen 5 Franken pro Tag oder 150 Franken im Monat. Das ist nun kein Hennenschiss (🐔💩) und macht im Jahr satte 1800 Franken aus. Andererseits: Wer liest schon 50 Artikel pro Tag? Bei 15 wären es 45 Franken im Monat oder 540 Franken im Jahr. Den Gegenwert hat man als intensiver Mediennutzer im analogen Zeitalter locker für Zeitungen und Zeitschriften-Abos ausgegeben. Abgesehen davon habe ich eine Idee, wie sich dieser Betrag für den Medienkonsumenten verringern lässt, obwohl beim Medienanbieter noch genauso viel ankommt. Dazu aber weiter unten mehr.

Ja, aber…

Jetzt erstmal die Einwände. Bevor ihr auf all den Problemen von 0-Click herumreitet, spreche ich die lieber selbst an:

Man wird abgezockt

Man kann sich allerhand Maschen ausdenken, über die ein Betrüger im Hintergrund 0-Click-Geld einsammelt. Um das zu verhindern, müsste Transaktionen ohne Einschränkung annullierbar sein – und zwar über eine längere Zeit, sagen wir: 3 Monate nach Kauf. Sinnvoll wäre auch eine Option wie: «Halte mich davon ab, Sites zu besuchen, bei denen ich dreimal oder häufiger mein Geld zurückfordern musste.»

Man kauft die Katze im Sack

Stimmt natürlich. Und wenn man sieht, wie dank Clickbaiting Artikel in ihren Schlagzeilen oft überverkauft werden, dann ist diese Sorge berechtigt. Man könnte sich ein System ausmalen, dass der 0-Click erst fällig wird, wenn man auf der Seite nach unten scrollt und mehr als Titel, Vorspann und den ersten Absatz gelesen hat. Das hätte auch den Vorteil, dass die ganz kurzen Newsmeldungen gratis wären.

Selbstverständlich müsste auch ersichtlich sein, welche Inhalte 0-Click nutzen und welche nicht. Am besten schon anhand des Links, zum Beispiel über eine eigene Topleveldomain. Wie wärs mit .0ch für Sites mit 0-Click? Bei clickomania.0ch weiss jeder sofort, was Sache ist. In Deutschland natürlich analog spiegel.0de oder heise.0de, in Österreich futurezone.0at.

Ein Einheitspreis ist Unsinn. Aber mit abgestuften Preisplänen wird 0-Click schwerfällig

Stimmt. Und darum würde ich, so ungerecht das ist, beim Einheitspreis bleiben.

Die Margen des 0-Click-Betreibers machen alles kaputt

Der Betreiber sollte tatsächlich nicht Apple, Google oder Paypal heissen und 30 Prozent nehmen, sondern gemeinnützig operieren und nur seine Kosten decken. Als alter Linker bin ich sogar versucht, das als staatliche Aufgabe zu sehen, die von den Steuern bezahlt wird, sodass 100 Prozent von den Einnahmen weitergereicht werden können.

Verleger würden niemals mit allen anderen ins Boot steigen. Die verkaufen lieber ihre eigenen Abos. Respektive: versuchen es

Stimmt. (Seufz.)

Bei 0-Click darf jeder mitmachen? Das ist doch Wahnsinn?

Es wirft tatsächlich gewisse Fragen auf: Beispielsweise, wenn die SRG gebührenfinanzierte Inhalte via 0-Click ins Netz stellen würde. Trotzdem sollte man das in Kauf nehmen und keine bürokratische Zulassungsbehörde hochziehen.

Das System schliesst finanziell schlecht gestellte vom Internet aus

Hmm… stimmt. Wie wäre es mit einem Modell wie bei der Billag, bei der es die Gebührenbefreiung gibt? Der Steuerzahler müsste eine Grundnutzung, meinetwegen die erwähnten 15 Artikel pro Tag übernehmen. Das sollte er auch für die Schülerinnen und Schüler dieses Landes tun, finde ich.

Und der Datenschutz? Da wird das Leseverhalten der ganzen Gesellschaft lückenlos dokumentiert

Nein, eigentlich nicht. Erstens wäre nur das Leseverhalten auf den .0ch-Domänen überhaupt betroffen. Der Zahlungsvorgang zwischen 0-Click und dem Betreiber einer .0ch-Site wäre anonym und entsprechend ein Privacy-Gewinn gegenüber den Abos, die nie anonym sind. Natürlich steht und fällt die Sache mit der Vertrauenswürdigkeit von 0-Click selbst. Auch aus diesem Grund scheint es mir sinnvoll, wenn das eine gemeinnützige oder sogar staatliche Institution wäre.

Die Akzeptanz für so eine Idee ist niemals vorhanden

Wahrscheinlich nicht. Andererseits: Vielleicht doch?

Eine Insellösung in einem kleinen Land bringt nichts und für eine globale Einführung braucht es erst die Weltregierung

Hat was. Trotzdem: Ich 💩 auf dieses Argument.

Das ist doch irgendwie… kommunistisch?

(Selbe Antwort wie vorherige Frage.)

Nochmals zurück zu den erfreulichen Aspekten: Man kann das Modell problemlos auch auf Podcasts, Kurzfilme oder Youtube-Clips anwenden und in Apps einbauen. Um als Blogger auf ein Einkommen von 5000 Franken pro Monat zu kommen, müsste man pro Tag 1667 Views erzielen. Das liegt im Bereich des Machbaren. Das Modell bietet auch für Nischenblogger eine echte Chance. Für die grossen Newssites ist es eine Alternative zu den Abos: Ein einziger Artikel, mit 250’000 Views spült 25’000 Franken in die Kasse. Für ein Redaktionsbudget von 5 Millionen braucht es 200 solcher Artikel im Jahr. Sollte doch machbar sein?

Was mir wirklich gut an 0-Click gefällt, ist die Tatsache, dass die Lösung unserem geänderten Medienverhalten Rechnung trägt. Wir haben nicht mehr unser Leibblatt, dem wir einen grossen Teil unseres Budgets für Medien- und Newskonsum überantworten, sondern informieren uns breit aus den unterschiedlichsten Quellen. Unsere Aufmerksamkeit hat einen Wert. Ihr wird einen konkreten Preis zugemessen.

One more thing… Die Sache mit der Werbung

Und 0-Click eröffnet eine grossartige Möglichkeit, Werbung und Sponsoring richtig einzusetzen. Denn wofür die werbenden Unternehmen eigentlich bezahlen, ist die Aufmerksamkeit der Medienkonsumenten. Darum sollten sie dieses Geld auch direkt an die Medienkonsumenten bezahlen – in offenen und fairen Deals.

Das heisst: Es gibt Websites, auf denen ich als Nutzer nicht bezahle, sondern für meinen Besuch bezahlt werde. Schaue ich mir eine Autowerbung an, stöbere ich durch den Digitec-Katalog, studiere ich das Angebot einer Krankenkasse, lese ich den Beschrieb einer interessanten Software – dann kriege ich dafür 0-Click-Guthaben. So kann ich die Kosten für meinen Medienkonsum verringern, indem ich das freiwillig tue, zu dem ich heute durch die Werbung gezwungen werde: Ich schenke meine Aufmerksamkeit einem Unternehmen, das mir gerne etwas verkaufen möchte. Dafür fliesst Geld – aber nicht an den Vermittler, sondern an denjenigen, der seine Aufmerksamkeit zur Verfügung stellt. Also mich. Der Vermittler profitiert indirekt, indem der Aufmerksamkeitszurverfügungsteller sich mehr bezahlten Medienkonsum leisten kann und wird.

Technisch funktioniert das so: Als Gegenstück zu den .0ch-Seiten, bei denen man als Kunde bezahlt, gibt es die .+ch-Sites, bei denen man bezahlt wird. Auch hier werden ähnliche Bedingungen an die Auszahlung geknüpft, wie bei den .0ch-Seiten: Das Geld wird erst fällig, wenn die Werbebotschaft über den Vorspann hinaus zur Kenntnis genommen wurde. Um Hortern vorzubeugen, ist es technisch unmöglich, 0-Click-Guthaben anzuhäufen oder zu handeln. Kinder, die ihr .0ch-Guthaben vom Steuerzahler erhalten, dürfen bzw. müssen keine .+ch-Sites besuchen.

Man stellt sich das vor: Von den .0ch-Seiten verschwinden all die Banner und der ganze lästige Plunder. Wer keine Werbung konsumieren will, braucht das nicht zu tun. Dafür muss er seinen ganzen Medienkonsum selbst bezahlen. Wer hingegen .+ch-Seiten besucht, wird logischerweise Angebote aufsuchen, für die er sich auch wirklich interessiert. Das ist Targeted Advertising, das funktioniert. Weil nämlich der Angesprochene die Werbung aussucht, für die er sich interessiert.

Und wie sucht er sich die Werbung aus? Über eine Portalseite, die die aktuellen .+ch-Angebote in den diversen Kategorien auflistet, wobei man die sich nach Interesse zusammenstellt, und die eine +.ch-Suchmaschine enthält. Man könnte darüber nachdenken, ob die .+ch-Werbeanbieter für eine gute Platzierung im Portal oder für Bevorzugung in der Suchmaschine bezahlen müssten. Das hätte etwas für sich, indem man dieses Geld für den Betrieb der ganzen Infrastruktur (und zur Entlastung der Steuerzahler) verwenden könnte. Oder, um den ärmeren Schichten oder den Kindern ihren Medienkonsum zu finanzieren.

Konzentriertes Lesen statt schnelle Klicks

Tja, soweit diese Idee, die mir heute Morgen beim Morgentee gekommen ist³. Bevor ihr sie jetzt als völlige Spinnerei abtut, überlegt doch mal, ob euch das nicht Spass machen würde… eine Medienwelt, wo man euch nicht zum schnellen Klick, sondern zum konzentrierten, aufmerksamen Lesen verführen will. Klingt doch gar nicht so 💩, oder?

Fussnoten

1) Man kann sich auch auf den Standpunkt stellen, dass ein Blog überhaupt keine Einnahmequelle sein muss, sondern gern Hobby und Vergnügen bleiben darf. Das finde ich nicht. In dem Internet, das ich mir wünsche, muss ein Blogger die ernsthafte Chance haben, sein Hobby zum Beruf zu machen.

2) Es gibt keine Möglichkeit, bei Flattr die Top-Verdiener nach Land zu sortieren. Ich habe darum einige Stichproben gemacht. Bei dieser nicht repräsentativen Erhebung schwang die WOZ mit 1226 Flattrs obenauf. Der Umkehrschluss ist darum zulässig: Wenn Flattr in der Schweiz Fuss gefasst hätte, dann hätte die WOZ so viele Flattr-Klicks kassiert wie Pritlove und Holgi zusammen.

3) … und die meinen Neujahrsvorsatz des Kurzbloggens völlig durcheinander gebracht hat. Mehr als 15’000 Zeichen? Der völlige Irrsinn!

4 Kommentare zu «Flattr ist gescheitert, 0-Click ist die Lösung»

  1. Seit man bei Flatr den Wechsel von PayPal auf das skrill gemacht hat sind bei uns die Einnahmen total zusammengebrochen, liegt vor allem dran dass die meisten unserer Hörer im #GeekTalk Podcast ihr Flattr Konto via Paypal aufgeladen haben aber kein Skrill Konto besitzen.

  2. Die Schweizer Verleger hätten Flattr flächendeckend einführen sollen. Vielleicht hätte man dem System so wenigstens im Mikrokosmos Schweiz zum Durchbruch verhelfen können.

    Aber klar, Skrill kenne ich auch nicht. So ist es natürlich schwierig…

  3. Merci für den Link, Philipp. Und Walter hat recht, die Verleger in der Schweiz oder im deutschsprachigen Europa müssten sich nur zusammenraufen… Aber die hängen halt sehr an ihren Abos.

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