Als Siemens den Handymarkt erobern wollte

Ein Handy, das aussieht, als ob es vom Planeten Klingon stammen würde: Das war eine der Geräte, mit denen der deutsche Industriekonzern vor zehn Jahren den Mobilfunkmarkt aufmischen wollte.

Die meisten Fotos aus meinem Archiv sind durchaus dazu angetan, uns alle das Gruseln zu lehren. Aber dem Foto, das hier aus den Untiefen meines Archivs aufsteigt, würde man Unrecht tun, wenn man sich bloss gruseln würde. Hier ist blankes Entsetzen angebracht. Bitte stimmt jetzt alle ein in den gellenden Schrei: «OMG! So schlimm war das damals?!»

Mobiles Internet… oder was wir vor zehn Jahren darunter verstanden.

Ja, liebe Kinders, so schlimm war das damals. Siemens hat tatsächlich mal Handys gemacht. Und so haben die ausgesehen! Und ja: Sie hatten solche winzigen Bildschirmchen, über die man mit sterbenslangsamen Verbindungen etwas tun konnte, was eine entfernte Ähnlichkeit mit «Surfen im Internet» hatte. Dabei hatte das Siemens M55 schon ein Farbdisplay und konnte sogar Java-Programme ausführen. (Es gibt sogar eine Clickomania-Variante in Java, die auf dem M55 läuft).

Ein kantiges, robustes Mobiltelefon

Am 7. Juli 2003 habe ich Folgendes über das Telefon geschrieben:

Jeder Fan der Kult-Fernsehserie «Star Trek» kennt die Klingonen: Eine martialische Kriegerrasse von Ausserirdischen, die, würde sie Kommunikation per Mobilfunk betreiben, ganz sicher Handys mit dem kompromisslosen Design des Siemens M55 hätte: Die kantig geformten Tasten leuchten in Orange, links und rechts des Displays blinken rote Leuchtdioden und damit das Telefon auch harte Schläge wegsteckt, stülpt man ihm eine Montur aus Gummi über.

Im extraterrestrisch anmutenden Gehäuse steckt die momentan auf der Erde gebräuchliche Handy-Technologie: Das M55 lässt sich dank Triband weltweit benützen, verschickt MMS und E-Mails, führt Java-Programme aus und tauscht per GPRS Daten mit dem Internet.

Auch akustisch verdient das M55 das Prädikat «abgespaced»: Mit einer Software namens Cubasis Mobile schüttelt man eigene polyfone Klingelmelodien aus dem Ärmel. Musikkenntnisse braucht es nicht, um auf den vier Spuren vorgefertigte Soundschnipsel auszulegen, bis der Soundteppich annehmbar klingt. Auch mit «an Bord» des M55 sind die «Extreme Games», drei Java-Spiele zum Kliffspringen, BMX-Fahren und Skaten.

Das M55 ist ein frisch-freches Mobiltelefon auch für Erdenbürger. Schade nur, dass die QuicPic-Kamera sehr wackelig auf dem Telefon sitzt und wie beim SL55 und dem S55 ein Display mit niedriger Auflösung zum Einsatz kommt.

Die QuicPic-Kamera war ein Dingens, dass man zum Fotografieren unten anstecken konnte. Eine eingebaute Kamera gab es nämlich nicht. Die QuickPic-Kamera hatte man allerdings nie dabei und selbst wenn man sie dabei gehabt hätte, wäre bis zum Aufstecken der Foto-Moment bestimmt schon vorbei gewesen. SlowPic wäre die passendere Bezeichnung gewesen. Aus heutiger Sicht ist es völlig offensichtlich, dass die Handy-Kamera eingebaut sein muss. Und es gab 2002 durchaus schon Mobiltelefone mit integrierter Kamera.

Für eine Handy-Vorstellung nach New York

Siemens hat übrigens mit viel Ehrgeiz und noch mehr Geld seine Mobilfunksparte forciert. Im Oktober 2002 wurde eine Heerschar von Journalisten aus der Schweiz und aus ganz Europa nach New York geflogen, um dort den Einstieg in den US-amerikanischen (und, falls ich mich richtig erinnere, den lateinamerikanischen) Markt bekannt zu geben. Und ja: Bemerkenswert ist auch, dass wir Journis damals die Zeit hatten, uns das Vergnügen für ein solches Schuelerreisi zu gönnen, auch wenn am Schluss bloss eine 25-zeilige Kurzmeldung dabei heraussprang. Auch am GMS-Kongress in Cannes hatte Siemens übrigens geklotzt und nicht gekleckert. Am 24. Februar 2003 schrieb ich:

Am GSM-Weltkongress, welcher letzte Woche in Cannes stattfand, war Siemens nicht zu übersehen: Die 164 Meter lange, mit dem Firmenlogo bemalte Jacht sprang jedem ins Auge, der seinen Blick aufs Mittelmeer wandte. Auffällig auch das vorgestellte Produkt: Das SX1 ist ein Smartphone mit ungewöhnlichem Design. Die Nummerntasten sind seitlich neben dem Display platziert und machen den grossen, zentral platzierten Funktionstasten Platz. Das Triband-Gerät mit Symbian-Betriebssystem, eingebauter Videokamera und Radio wird ab Juli zu kaufen sein.

Dem war dann nicht so. Der Verkaufsstart des Siemens SX1 musste immer wieder verschoben werden, und als das Gerät dann Ende 2003 auf den Markt kam, krähte kein Hahn mehr danach. 2004 war die Luft schon ziemlich draussen. Ich habe die Telefone damals zwar gern benutzt, habe aber von meinem Umfeld nur Kritik gehört: Komplizierte Menüs, umständliche Bedienung, Softwarefehler. Und man darf nicht vergessen, dass die Schweiz damals fest in Nokia-Hand war.

2005 war Schluss

Im Juni 2005 hat Siemens seine Handysparte an BenQ aus Taiwan verkauft. Danach ging es schnell bergab. 2006 melde BenQ Insolvenz an und nachdem kein Investor gefunden wurde, gingen auch in Deutschland viele Arbeitsplätze verloren.

Hier kommt auch meine persönliche Siemens-Mobile-Historie zu einem Ende.

Mein letztes Telefon war, bevor ich Mitte 2008 aufs iPhone umgestiegen bin, das Siemens SK65. Dieses Telefon kam 2004 auf den Markt. Sein Hinterteil konnte gegen die Vorderfront verdreht werden, was zu einer Kreuzform bzw. zu einer Art Wurfstern führte. Auf den horizontal herausstehenden Hälften links und rechts neben dem senkrechten Teil mit Display und Nummernblock war eine Querty-Tastatur, mit der ich dank einiger Übung meine SMS recht schnell tippen konnte. Die Tastatur trug die Bezeichnung x2type, was so viel wie «cross to type» bedeutet. Dank Blackberry-Lizenz kamen auch die Business-Hansel voll auf ihre Rechnung.

Schade!

Angesichts der extravaganten bis exzentrischen Gerätedesigns, dem zu selbstbewussten Auftreten und den strategischen Fehlern wäre es leicht, das Scheitern von Siemens’ Mobiltelefon-Ambitionen mit Häme zu quittieren. Ich jedoch bedauere den Ausgang. Auch Nokia ist nur noch ein Schatten seiner selbst – und wir Europäer sind, was Mobiltelefone angeht, definitiv abgemeldet.

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