Der Amerikanische Traum ist eigentlich ein Todesmarsch

«The Long Walk» («Todesmarsch») von Richard Bachman alias Stephen King ist eine quälende Lektüre, aber eine grossartige Allegorie auf den amerikanischen Traum.

Was für ein schrecklicher Horrortrip! The Long Walk (Deutsch: Todesmarsch) von Richard Bachman alias Stephen King war etwas vom Quälendsten, das sich seit langem gelesen, bzw. gehört habe. Nicht, dass das Buch schlecht wäre – ganz im Gegenteil. Im Bereich der Allegorien ist mir seit langem nichts Besseres in die Finger gekommen. Aber das viele Leiden, an dem man Anteil nimmt. Die Qual. Das Sterben. Es ist einfach grauenhaft.

Immer weiter, immer weiter… (Bild: Kelly Teague/Flickr.com)

Das Buch hat eine fadengrade Handlung. Es erzählt den langen Marsch der Hauptfigur Raymond Garraty, plus den 99 Mitmarschierenden. In einem dystopischen US-Amerika gewährt dieser Marsch den 14- bis 17-jährigen Teilnehmern die Chance, ihrer trostlosen Zukunft zu entfliehen und das restliche Leben in Luxus und Reichtum zu verbringen. Allerdings kommt nur ein einziger durch. Denn die Regeln des Marsches sind hart. Die Laufgeschwindigkeit darf nie unter vier Meilen pro Stunde oder 6,4 Kilometer pro Stunde fallen, was ein schnelles Marschtempo darstellt. Wer länger als 30 Sekunden unter dieses Tempo fällt, wird in Form eines «Tickets» verwarnt. Nach drei Tickets erfolgt bei der vierten Unterschreitung die augenblickliche Exekution durch die militärischen Überwacher des Marsches. Erschossen wird auch, wer sich von der Route abwendet oder aufgeben will. Denn einmal gestartet, gibt es nur Sieg oder Tod.

Freunde und Verbündete, die alle auch Konkurrenten sind

Und so erlebt man die Qualen des Raymond Garraty während dieses Marsches, der keine Rast oder Nachtpausen kennt. Während seine Freunde und Verbündeten ebenso wie die unliebsamen Konkurrenten einer, nach dem anderen auf der Strecke bleiben, nehmen die Schmerzen zu, die Kräfte ab, und als es dem Ende zugeht, schwinden auch die mentalen Mittel.

Die Teilnehmer erzählen sich, wie bei früheren Märschen letzte Verbleibende einfach weitergelaufen sind, weil sie ihren Sieg gar nicht mehr realisierten. Der Nonstop-Marsch – der kaum Zeit lässt, die Schuhe zu binden oder das T-Shirt zu wechseln. Bei dem man nur die Kleider hat, die man auf dem Leib trägt und bei dem manche Jungs am Ende auf Socken oder barfuss gehen. Bei dem es nur frische Feldflaschen und Nahrungsmittel-Konzentrate gibt. Der es dem Teilnehmern abverlangt, im Rückwärtsgehen zu urinieren und sich, falls es nicht anders geht, über die eigenen Hosen zu erleichtern.

Wie kommt man bloss auf so eine Idee?

Man fragt sich: Wie kommt einer auf so eine grässliche Idee? Und die Antwort ist ganz einfach: Bachman hat sich ausgedacht, wie der American Dream aussähe, wenn die Rahmenbedingungen nur ein bisschen härter, ein wenig faschistoider ausfallen würden – im Buch wird ein anderer Ausgang des zweiten Weltkriegs angedeutet, bei dem der «German air-blitz» an der amerikanischen Ostküste angelangt ist und eine Militärregierung unter einem Mann zur Folge hatte, der nur der Major genannt wird.

Der amerikanische Traum ist, dass der Stärkere gewinnt. Und zwar wortwörtlich. Es braucht den längeren Atem, die grössere Schmerztoleranz, die brutalere Härte gegen sich selbst – und die Fähigkeit, selbst Freunde beim Scheitern und Sterben zuzusehen. Trotzdem geht bei King die Menschlichkeit nicht verloren. Obwohl Konkurrenten, schweisst das gemeinsame Schicksal auch zusammen – und mehr als einmal überlebt Ray Garraty nur dank der Fürsorge seiner Marschgenossen.

Dennoch ist allen klar, dass Menschlichkeit das Leiden nur verlängert und zur Hinauszögerung des Unvermeidlichen führt. Darum braucht es den Pakt, der besagt, dass keiner mehr dem anderen beistehen soll…

King vs. Bachman

Im Vorwort erklärt Stephen King, weswegen er das Buch als Richard Bachman geschrieben hat: «Der Gemütszustand von Bachmann wird durch unterschwellige Wut, sexuelle Frustration, wahnsinnig guter Humor und fiebernde Verzweiflung ausgemacht.». King hingegen habe zwar immer verstanden, dass die Guten nicht immer gewinnen, «aber trotzdem gewinnen sie sogar im richtigen Leben meistens».

Bei Bachman dagegen sieht ein Happy End so aus, wie man es in Running Man erlebt: «Ben Richards, der dürre, vortuberkulöse Protagonsist, der so weit von der Arnold-Schwarzenegger-Verkörperung im Film weg ist, wie man es sich nur vorstellen kann, fliegt mit seinem entführten Flugzeig in das Hochhaus von Network-Games und reisst Hunderte, wahrscheinlich Tausende von Free-Wee-Führungskräften mit sich.» King schildert auch, wie er auf die Idee gekommen ist, die gleiche Geschichte als Bachman in The Regulators und als King in Desperation zu erzählen – eine grossartige Idee!

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