Das Startmenü gehört in die Mottenkiste

Microsoft will die Vision durch­drücken, die gleiche Win­dows-Version auf alle Geräte zu bringen, egal, wie gross sie sind und mit welchen Mitteln sie bedient werden. Darunter leidet die Benutzer­freund­lich­keit und es bringt ein Hüst und Hott – wie der wieder­be­lebte Start­bild­schirm beweist.

Windows 8 polarisiert noch immer. Das zeigte neulich die Diskussion zu meinem Beitrag zur Rückkehr des Startmenüs, Grandios gescheitert – und auf den im Artikel erwähnten Hannes A. Czerulla prasselten annähernd 1600 Kommentare herab, weil er fand, Microsoft hätte das Startmenü in der Mottenkiste lassen sollen.

Kleine, längst überfällige Verbesserungen.

Das finde ich tatsächlich auch. Es gibt vieles, was man an Windows 8 kritisieren kann. Der grösste Kritikpunkt ist IMHO die Janusköpfigkeit. Die Vollbild-Apps und der klassische Desktop harmonieren nicht, das schleckt keine Geiss weg. Man bekommt unweigerlich das Gefühl, mit zwei Systemen zu arbeiten – und das tut man schliesslich auch.

Das eine System ist für gestengesteuerte Mobilgeräte, das andere richtet sich an den Nutzer eines klassischen PCs mit Maus und Tastatur. Es ist und bleibt diskutabel, ob es eine gute Idee war, die beiden Systeme zu verheiraten. Microsoft hätte sich mit einer zweigleisigen Strategie viel Ärger erspart – schliesslich hat noch keiner Apple je dafür kritisiert, dass iOS und OS X nicht integriert worden sind.

Zwängerei oder Weitblick?

Das Microsoft die beiden Paradigmen in ein Produkt gegossen hat, kann man als Zwängerei sehen. Da soll unbedingt die Vision von Windows auf jedem Gerät, der Bauform und jeder Displaygrösse durchgeboxt werden – so unsinnig das auch sein mag. Microsoft hat nichts gelernt aus dem Debakel namens Windows Mobile, wo man mit einem Stiftlein ein winziges Startknöpflein treffen musste, um ein Miniatur-Startmenü aufzuklappen, wo man es schaffen musste, mit der Stiftspitze einen wenige Pixel hohen Eintrag anzutippen. Das war Unfug, und eine weniger Windows-zentrierte Sichtweise hätte dem Produkt eklatante Mängel erspart.

Nun ist es aber tatsächlich so, dass man die Geräteklassen heute nicht mehr so klar trennen kann. Ein Tablet ist ähnlich leistungsfähig wie ein Laptop. Das Display ist vergleichbar gross, es lässt sich mit Tastatur benutzen und auch per Maus oder Touchpad bedienen. Warum sollte man diesem Gerät die Desktop-Apps vorenthalten und es nicht mit der Möglichkeit ausstatten, je nach Situation als Tablet oder als Laptop zu fungieren? Ich halte diese Idee absolut nicht für verkehrt, sondern im Gegenteil für konsumenten-freundlich. Man braucht keine zwei Geräte zu kaufen, sondern kann eines mal so, mal so benutzen.

Mal über seinen Schatten springen

Das heisst, dass mir Microsofts Ansatz trotz aller Kritik einleuchtet. Die Umsetzung war sicherlich nicht perfekt, wie das Update auf Windows 8.1 und nun auch das Update 1 für 8.1 vor Augen führt: Die Kontextmenüs für Mausbenutzer auf der Kacheloberfläche sind sinnvoll. Dass Vollbild-Apps nun in der Taskleiste auftauchen und dort angeheftet werden können, führt die beiden Welten näher zusammen. Diese Kleinigkeiten vereinfachen die Nutzung, und es ist mir schleierhaft, warum es nicht schon von Anfang an so funktioniert hat. Das hätte den Kritikern viel Wind aus den Segeln genommen.

Auf Mashable ist das Bild des Startmenüs zu sehen, das Terry Myerson gezeigt hat. Es dürfte sich aber um einen frühen Entwurf handeln. Das fertige Menü kann ganz anders aussehen.

Das Startmenü gehört nun aber wirklich nicht zu den Dingen, die wiederbelebt werden müssten. Dieses Menü war noch nie das Gelbe vom Ei. Die Sortierung der Icons ergibt keinen Sinn; wenn schon, sollten sie nach Einsatzgebiet oder Wichtigkeit organisiert werden.

Viele Programme sind nicht auf der obersten Ebene, sondern müssen in einem Unterordner oder sogar in einem Unter-Unterordner gesucht werden. Microsoft hat diese Schwächen etwas entschärft, indem man Anwendungen auf der obersten Ebene anpinnen oder über die Suchfunktion aufstöbern konnte. Aber an den grundsätzlichen Problemen ändert das nichts: Für viele Anwendungen ist es sehr unübersichtlich, und wenige Anwendungen kann man hervorragend auch einfach an die Taskleiste anpinnen.

Der Startbildschirm mit seinen Kacheln ist da ein echter Fortschritt: Er taugt auch für viele Anwendungen. Mit ihm lassen sich die Apps viel leichter nach Wichtigkeit oder Kategorie sortieren. Die Live-Kacheln bringen Leben in die Sache und sind informativ. Und indem man weniger wichtige Kacheln klein und die häufig benutzten Kacheln gross machen kann, hat man auch eine bessere Orientierung. Und man kann im Startmenü auch einfach die ersten Buchstaben einer Anwendung tippen und sie per Enter starten.

Das ist eine genuine Verbesserung – und darum hätte ich es tatsächlich bevorzugt, wenn Microsoft das den Usern vermittelt hätte, statt nun das Startmenü zurückzubringen. Fortschritt erfordert es tatsächlich, dass die Gewohnheitstiere auch mal über ihren Schatten springen.

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