Die Zukunft ist eigentlich ein alter Hut

Daniel Suarez hat mit «Daemon» und «Freedom™» zwei fulminante Zukunftsvisionen entworfen, die ein gefundenes Fressen für Sciencefiction-Fans sind. Nun legt er mit «Influx» nach, bei der der Fortschritt an sich monopolisiert werden soll.

Als Mensch mit einer Affinität für Technik, der ab und zu seine Nase in ein Buch steckt, kommt man um Daniel Suarez nicht herum. Der Mann schrieb mit Daemon und «Freedom™» zwei Bücher, in denen technologische Errungenschaften eine Rolle spielen, die in unserer näheren Zukunft wahr werden könnten. Es gibt auch Beispiele, bei denen man behaupten könnte, Suarez’ Ideen seien von der Wirklichkeit eingeholt worden.

Da sind die selbst fahrenden Autos, die zumindest als Prototypen schon auf unseren Strassen unterwegs sind. Das «Darknet» könnte demnächst mit Google Glass über uns hereinbrechen. Bei Kill Decision geht es um Drohnen und um Schwarmintelligenz. Diesem Titel habe ich mich verweigert, weil er das Potenzial birgt, sehr militaristisch zu werden – zumal Suarez in den ersten beiden Büchern beweist, dass er auch Armeefiguren und deren High-Tech-Spielzeug nicht abgeneigt ist.

Auch im neuesten Buch gibt es ein bisschen davon, aber im erträglichen Rahmen.

Der Autor und Hörbuch-Sprecher beim Gespräch mit Leo Laporte.

Bei «Influx» geht es nun um den technischen Fortschritt an sich. Ohne zu viel zum Plot zu verraten, wird der durch eine dubiose Behörde der US-amerikanischen Regierung monopolisiert. Denn Fortschritt darf nicht ungebremst auf das dumme Volk losgelassen werden. Das kann mit unbegrenzten Energiereserven, wie sie die kalte Fusion hervorbringt, nicht umgehen, sondern würde sich zu einem Lebensstil verführen lassen, der diesem Planeten innert kürzester Zeit den Garaus machen würde. Das Gleiche gilt fürs Heilmittel gegen Krebs. Das würde das Problem der Überbevölkerung so massiv verschärfen, dass die Lebensgrundlage aller in Frage gestellt wäre.

Fliegende Häuser sollten einen nicht beunruhigen.

Wer bei solchen Stichworten an wilde Konspirationen denkt, muss kein staatl. dipl. Verschwörungstheorie-Experte sein. Suarez setzt mit seinem neuesten Werk bei der Verschwörungstheorie der unterdrückten Erfindungen an (die mir, als staatl. Dipl. Verschwörungstheorie-Experte selbst grosse Freude macht). Dass Suarez nicht globale Konzerne für die Unterdrückung wegweisender Erfindungen verantwortlich macht, sondern eine geheime staatliche Behörde, erweist sich als gutes Timing – denn seit uns im Sommer des letzten Jahres der NSA-Skandal um die Ohren geflogen ist, trauen wir dem Staat diesbezüglich gerade noch weniger über den Weg als corporate America.

Ein verschwörungstheoretischer Unterbau

Trotz des verschwörungstheoretischen Unterbaus strickt Suarez einen relativ geradlinigen Thriller. Der Protagonist ist ein Wissenschaftler, der mit einer epochemachenden Erfindung ins Visier der Bösewichte gerät und um sein Leben und seine Freiheit kämpfen muss – und sich als aufrechter Held für das Recht aller auf Fortschritt einsetzt. Seine Mitstreiterin ist eine Frau, die ihrerseits ohne eigenes Verschulden in die ganze Affäre verwickelt wird – indem sie eine mittels (unterdrückter) Gentechnologie verbesserte Frau 2.0 darstellt, die zwar überlegene Kräfte und eine massiv verlängerte Lebenserwartung hat, ihr (patentiertes) Erbgut aber nicht ohne Zustimmung ihres Vorgesetzten weitergeben darf.

Ich habe mich von Influx gut unterhalten gefühlt. Bei Audible wird das Buch von Jeff Gurner gelesen, den ich als angenehmer Sprecher erlebt habe, der sich auch von kurzen deutschen oder französischen Phrasen nicht komplett aus dem Konzept bringen lässt. Die Geschichte wird nie lächerlich oder komplett unglaubwürdig, obwohl diese Gefahr bei ganzen Stadtteilen, die plötzlich in den Himmel fallen, natürlich relativ gross ist.

Die Geschichte bleibt blutleer

Der Letztlich bleibt die Geschichte aber etwas blutleer – wie ein rasantes, spektakuläres Videospiel, das keinerlei Erkenntnisgewinn vermittelt. Die Figuren sind interessant, aber bleiben etwas flach. Der Protagonist beispielsweise leidet zwar an Synästhesie, was für die Geschichte dann aber mehr oder weniger gleichgültig ist. Eindrücklich sind die Folterszenen, die der Held über sich ergehen lassen

Die Frage, ob disruptiver Fortschritt einfach unkontrolliert auf die Menschheit losgelassen werden sollte, beantwortet Suarez mit einem Taschenspielertrick – nämlich mit einer Horde verkleideter Fans, die von einer Scifi-Convention kommen und die dem Helden beweisen, dass die Menschheit reif für jegliche Errungenschaften ist. Das ist erzähltechnisch geschickt gemacht – aber könnte auch so gewertet werden, dass sich Suarez um diese schwierige Frage lieber herumdrücken wollte. Es wäre allerdings genau die Frage, der wir angesichts von künstlicher Intelligenz, Genmanipulation und Nanotechnologie entscheidende Bedeutung beimessen müssten…

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