Spione und Zeitreisende

«Eye of the Needle» von Ken Follett und «Red Sparrow» von Jason Matthews in einer Besprechung Schulter an Schulter, plus als Dreingabe das Sachbuch «Legacy of Ashes» von Tim Weiner über die CIA.

Nachdem die Spione die Schlagzeilen beherrschen und ich neulich Spass mit Mr. Bond hatte, wollte ich die Welt der fiktiven Agenten ausführlicher erkunden. Erstens mit Ken Follett und Eye of the Needle bzw. Die Nadel (Amazon Affiliate Englisch/Deutsch) – auch weil mir das Hörbuch neulich von Audible für einen Spottpreis hinterhergeworfen wurde. Zweitens mit Red Sparrow (Amazon Affiliate Englisch/Deutsch) von Jason Matthews.

Eye of the Needle, Das Jesus-Video, Red Sparrow (den optischen Anleihen des Covers an James Bond wird der Inhalt nicht gerecht), Ein König für Deutschland (von oben nach unten und links nach rechts).

Die Geschichte von Follett war nett gemacht, mit mehreren Stimmen für die Dialoge. Dennoch hat mich die Geschichte nicht so richtig gepackt. Es geht um die Geschehnisse vor dem D-Day im zweiten Weltkrieg. Die Alliierten hatten die Operation Fortitude gestartet, um den Deutschen weiszumachen, die Landung der Alliierten würde in Calais und nicht in der Normandie erfolgen: Dazu haben die Engländer in Ostanglien eine grosse Inszenierung mit aufblasbaren Panzern, Spitfire-Flugzeugen aus Karton und Militäranlagen als Kulisse aufgebaut. Der deutsche Spion in England, der mit einem Stilett mordet und darum «Die Nadel» genannt wird, entdeckt das ganze Blendwerk, macht Fotos und wird nur von einem grossen Sturm daran gehindert, den Führer über das Täuschungsmanöver in Kenntnis zu setzen.

Das obligate Techtelmechtel

Die Operation Fortitude ist historisch adäquat und auch ein hervorragender Stoff für einen Spionageroman. Für meinen Geschmack holt Follett mit seiner «Wie es denn hätte sein können»-Geschichte zu wenig aus dem Material raus. Der deutsche Spion, der auf der kleinen Insel Storm Island landet, wo zufällig eine frustrierte Ehefrau nur darauf wartet, ein heisses Techtelmechtel anzufangen – da ist ein James Bond, der seine Verführungskünste als seine gefährlichste Waffe einsetzt, überzeugender.

Da ist Red Sparrow von Jason Matthews, abgesehen vom uninspirierten Ende, überzeugender. Matthews war selbst CIA-Agent, und weiss somit, wovon er schreibt. Die New York Times weist darauf hin, dass die meisten wirklich guten Autoren aus diesem Genre eigene Geheimdiensterfahrungen beizusteuern haben. Und zum Buch schreibt die NYT:

Jason Matthews ist ein Geheimdienstveteran, der 33 Jahre in den Diensten des CIA stand und der gemäss der Pressemeldung zum Buch «in mehreren Ländern in Übersee stationiert war und an verdeckten Operationen der Geheimdienste beteiligt war». Gott allein weiss, wie er sein Manuskript von «Red Sparrow» an den Zensoren in Langley vorbeigekriegt hat. Aber er verwandelt sein beachtliches Spionagewissen in ein erstaunliches Debut.

Das scheint mir auch so. Wie in meiner Biografie nachzulesen ist, habe ich nie in einem Geheimdienst gedient und kann die Authentizität der Schilderung daher nur sehr bedingt beurteilen. Aber die Arbeit der Spione scheint mir in diesem Buch so realistisch geschildert, wie ich es noch nie gelesen habe.

Und es passt auch recht gut zu den Schilderungen in Legacy of Ashes von Tim Weiner, einem Sachbuch zur Geschichte der CIA, mit dem ich mich vor gut einem Jahr herumgeschlagen habe. Der Alltag der Spione ist, wie nicht anders zu erwarten war, im Schnitt nicht gerade glamourös. Die eine der beiden Hauptfiguren, Nathaniel Nash, ist damit betraut, in Moskau einen hochrangigen Spion zu betreuen, der wie zu den besten Zeiten des Kalten Krieges den Amis Informationen aus dem Umfeld des Kremls zuspielt. Denn der Kalte Krieg hat nie wirklich aufgehört, lernt der Spion in seiner Ausbildung.

Professionelle Verführerin

Die Aufgabe des CIA-Agenten besteht darin, als Handler den Spion bei Laune zu halten und ihm die Arbeit zu ermöglichen – und Anwerbung zu betreiben. Da kommt die zweite Hauptfigur ins Spiel. Nachdem missgünstige Rivalen ihre Karriere als Ballerina vereitelt hatten, rutschte sie dank den falschen Versprechen eines einflussreichen Onkels ins Spionage-Business hinein. Dort kriegt Dominika Egorova es trotz unerschütterlicher patriotischer Überzeugungen immer wieder reingedrückt und wird in die Sparrow School abkommandiert. Dort lernt sie, die Verführung und ihre weiblichen Reize professionell zu Spionagezwecken zu nutzen. From Russia with love.

Diese Konstellation lässt den Verlauf der Geschichte erahnen: Der ehrgeizige Nash auf der einen Seite, der es seiner ganzen Familie beweisen will und nach einem beruflichen Rückschlag Erfolge vorzuweisen hat – und auf der anderen Seite die attraktive, getäuschte Dominika, die als Synästhetikerin sogar Auren sehen kann. Das klingt nun, trotz des vorher gelobten Realismus nach einer absehbaren Romanze. Die sich in der Mitte des Buchs dann auch tatsächlich einstellt, aber zum Glück nicht so schlimm ausfällt wie befürchtet. Matthews beschreibt die Gefühlsverfassunge seiner beiden Hauptfiguren gleichermassen differenziert – und dann, wie das im Geheimdienstbusiness wahrscheinlich häufiger der Fall ist, werden die privaten Belange von den Ereignissen überrollt.

Fazit dazu: Wer von Spionen eine allzu romantische Vorstellung hat, darf zu «Red Sparrow» greifen. Um bei #merkelphone und der Kontroversen um die NSA anzuknüpfen, zeigt meines Erachtens das Buch eines sehr schön: Die ganze technische Aufklärung bringt nicht ansatzweise so viel wie die gute, alte Geheimdienstarbeit, die in der Infiltrierung der richtigen Organisationen besteht.

Nach dieser Einsicht hatte ich von Spionen die Nase voll und mich wieder einmal Andreas Eschbach zugewandt. Den schätze ich immer mehr, weil er selbst abstruse Szenarien überzeugend in den Griff bekommt. Ich meine, eine Geschichte wie Das Jesusvideo hätten andere zu einer komplett hanebüchenen Klamotte verhunzt. Doch auch wenn man merkt, dass Eschbach bei seinem dritten Buch noch nicht so sattelfest war wie beim elften (Ein König für Deutschland) und zwölften (Herr aller Dinge), so ist an dieser Zeitreise-Story nichts auszusetzen – ausser, dass man sie, wenn man sie hören will, nur als gekürzte Hörbuchfassung erhält. Können wir uns ein für allemal darauf einigen, dass gekürzte Fassungen Unsinn sind und verboten gehören? Wer keine Zeit hat, die Geschichte als Ganzes zu hören, darf es gerne bleiben lassen. Und da man heute Hörbücher wirklich nicht mehr auf CD ausliefern muss, spielt es keine Rolle, ob eine Lesungen nun sieben oder dreissig Stunden lang ist.

Ein hoher Nerdkoeffizient

Kurz und gut: Ein König für Deutschland ist eine wunderbare Politsatire, in der Hacker, manipulierte Wahlmaschinen und Live Action Role Playing eine zentrale Rolle spiele, weswegen diese Geschichte einen hohen Nerd-Koeffizienten aufweist. Und in meinen Empfehlungen zu den Zeitreisestorys nimmt «Das Jesusvideo» einen prominenten Platz ein – obwohl die ganze Geschichte in der Gegenwart spielt und man von der Zeitreise nur vom Hörensagen erfährt.

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