Shine und Sein

Der E-Book-Reader Tolino Shine im Augenschein. Plus ein kleiner «Hack», mit dem man im Ruhestand sein eigenes Bild anzeigen lässt.

Für den Tagi habe ich mir den Tolino Shine näher angesehen (als Testgerät von thalia.ch). Das ist das Ebook-Lesegerät, das die Online-Buchhändler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen mit der deutschen Telekom entwickelt haben, um Amazon Paroli zu bieten.

Bis jetzt wird gut die Hälfte aller elektronischen Bücher für den Kindle gekauft. Die Reader der einheimischen Online-Buchhändler waren wegen des umständlichen Bücherkaufs einfach nicht konkurrenzfähig. Beim Kindle ist das Shopping supereinfach und mit einem 3G-Modell benötigt man noch nicht einmal ein eigenes WLAN.

Der Tolino und der Kindle (der leere Akku des Kindle ist Zufall und nicht als Subtext gedacht).

Der Tolino Shine macht diese Mankos jetzt zumindest teilweise wett. Man muss sich gegenüber dem Kindle bei der ersten Einrichtung mehr Zeit nehmen. Beim Kindle ist das Amazon-Konto schon bei der Auslieferung hinterlegt, sodass man sogleich mit dem Bücherkauf loslegen kann – der dank One-Click auch rekordschnell erledigt ist. (Es soll Leute gegeben haben, die Bücher deswegen ganz aus Versehen gekauft haben. Aber die kann man auch wieder zurückgeben, auch wenn dafür mehr als ein Klick nötig ist.)

Keine Notizen, keine Textmarkierungen

Beim Tolino kann man sich keine Markierungen und Notizen machen, was mich stört. Ich schätze diese Funktion gerne, und ich belästige meine Follower auch immer mal wieder mit direkt ab dem Kindle getwitterten anzüglichen Passagen aus Asoiaf. Bemängelt werden auch die relativ eingeschränkten Einstellungsmöglichkeiten. Das sind Mankos der Software, die sich durch Updates aber problemlos beseitigen lassen. Ansonsten mag ich zwar die Hardware-Tastatur meines Kindle 3, könnte aber dank der einigermassen brauchbaren On-Screen-Tastatur am Tolino-Touchscreen darauf verzichten.

Zumal die On-Screen-Tastatur, anders als der Kindle 3, auch Umlaute bereitstellt, sodass ich mich entsprechend bei Facebook anmelden könnte, wenn ich wollte. Auf das 3G meines Kindle würde ich wirklich ungern verzichten. Per Whispernet in den Ferien am Pool, Flughafen oder im Bus Bücher kaufen zu können, ohne sich um ein offenes WLAN kümmern zu müssen, ist reine Dekadenz. Aber will ich darauf verzichten? Nein.

Trotzdem bin ich versucht, auf den Tolino umzusteigen. Allein, weil es mich stört, dass ich fast alle meine Bücher bei Amazon beziehe. Seit ich vor 14 Monaten Audible-Mitglied geworden bin, kommt eine Tonne von Hörbüchern von da. Da könnte ich wenigstens die E-Books bei einem anderen Händler kaufen, finde ich. Und da wäre mir ein Schweizer oder zumindest ein europäischer Anbieter sympathisch. Bei aller Globalisierung habe ich doch ein Interesse, dass auch hierzulande etwas von dem ausgegebenen Geld hängen bleibt.

Nur ein Store

Nebst den erwähnten Mankos finde ich es schade, dass man beim Tolino nur den Store des Händlers nutzen kann, bei dem man das Gerät gekauft hat. Mein Testgerät von Thalia hat den Thalia-Store drin. Ich würde aber gern auch bei books.ch einkaufen. Das geht, wenn man die Bücher über den PC kauft und dann via Adobe Digital Editions aufspielt (das habe ich ausprobiert).

Und vielleicht geht es sogar, wenn man die Bücher über den Browser des Tolino kauft (das habe ich noch nicht ausprobiert). Schöner wäre es, wenn man die elektronischen Stores aller seiner Lieblingsbuchhandlungen am Gerät zur Verfügung hätte – aber bei aller Zusammenarbeit bleiben die beteiligten Buchhandlungen (Weltbild und Thalia in der Schweiz, in Deutschland zusätzlich Hugendubel und Club Bertelsmann) Konkurrenten. Obwohl – mal über den eigenen Schatten springen, schadet ja nicht.

Schade finde ich auch, dass der Tolino im ausgeschalteten Zustand nur ein kleines Gesichtchen und die etwas infantile Botschaft «Psst… Tolino schläft» anzeigt. Das E-Ink-Display braucht zum Erhalt der Anzeige keinen Strom. Könnte man da nicht etwas Sinnvolles anzeigen? Der Kindle zeigt bekanntlich die immer gleichen Bilder, die einem nach drei Jahren dann auch sehr aus dem Hals heraushängen. Warum sieht man nicht beispielsweise das Cover des Buchs, das man gerade liest?

Der gehackte Standby-Screen

… okay, dieses Warum wird einem klar, wenn man sich ansieht, was in der Kategorie der Topseller zu finden ist: Auf Platz eins: «Shades of Grey 03. Befreite Lust». Auf Platz 2: «Shades of Grey – geheimes Verlangen». Und auf Platz 3 «Shades of Grey 02. Gefährliche Liebe». Ein gewichtiges Argument fürs Ebook ist, dass man Schmuddelbücher lesen kann, ohne im Zug das Cover umklappen zu müssen.

Da wollen die Leute nicht, dass dieser seltsame Blütenstempel auf dem Cover erscheint, sobald das Gerät in den Ruhemodus geht. Aber wieso nicht eine Option anbieten, die es erlaubt, eigene Bilder anzuzeigen? Da könnte man dann das Cover von Annette von Droste-Hülshoffs Judenbuche für den Standby auswählen, während man sich Schmuddelprosa in fünfzig Grautönen zu Gemüte führt.

Ein kleiner Einschub: Wir Nerds können beim Tolino ein eigenes Standby-Bild verwenden. Dazu verbindet man das Gerät mit dem Computer und legt im Root-Verzeichnis als suspend.jpg ab. Diese Datei wird angezeigt, wenn der Tolino ausgeschaltet ist.

Links das Standard-Standby-Bild, rechts die eigene Variante.

Fazit: Die Mankos des Tolino stecken in der Software und könnten durch ein Update behoben werden. Der Preis (129 Franken) überzeugt, die Batterielaufzeit (angeblich bis zu sieben Wochen) ebenso, und die zuschaltbare Hintergrundbeleuchtung macht einen Kindle-3-Benutzer wie mich sehr neidisch. Und darum freue ich mich, dass es nun eine echte Alternative zu Amazon gibt.

Und der Ehrlichkeit halber sei das erwähnt: Die Überschrift dieses Beitrags ist gnadenlos bei der NZZ geklaut. Wobei ich sicher bin, dass ich selbst auf die Idee gekommen wäre, wenn ich ihn nicht zuerst dort gelesen hätte. 😉

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