Noch alle Platten im Regal?

Die Schweizer Musik­schaf­fen­den haben sich gegen das Strea­ming posi­tio­niert und in einer schwer nach­voll­zieh­baren Ar­gumen­tations­ket­te auch die Provider angegriffen. Diese Ver­wei­ge­rungs­hal­tung wirkt spät­pu­ber­tär.

Die Schweizer Musikschaffenden sind, man kann es in ihrem Official MSS Statement nachlesen, gegen alles, was die letzten zwanzig Jahre so an Neuerungen im Bereich Internet und Musiknutzung aufgetaucht ist: gegen Youtube, gegen die Kultur-Flatrate, gegen Streaming, gegen das Schweizer Urheberrecht und sogar gegen die Leerträgervergütung. Abschliessend präsentieren sie folgende Idee:

Zu den Gewinnern gehören unmittelbar auch Internet-Provider wie Swisscom und Cablecom mit ihren Breitbandangeboten. Wir finden es gerecht und notwendig, an diesen Gewinnen beteiligt zu werden.

Da fragt man sich: Haben die noch alle Tassen im Schrank, bzw. Platten im Regal? Mit der gleichen Argumentation könnte jeder Geld verlangen, der in seinem Leben einen oder zwei Tweets ins Netz geschickt hat. Auch die gehören zu den Inhalten, die die Leute dazu bringen, für einen Internetzugang zu zahlen.

Platten. Im Regal. (Bild D Sharon Pruitt, Flickr)

Auch sonst finde ich die Argumentation weinerlich. Natürlich, die Musikindustrie wurde in ihren Grundfesten erschüttert. Das ist das Wesen einer disruptiven Technologie wie dem Internet. Sie verändert alles. Die Drucker haben das zu spüren bekommen, die Verlagshäuser, die Radiostationen, das Fernsehen, die Journalisten.

«Urheberrechts-Guantanamo»?

Man kann diese Entwicklung bedauern, weil man Veränderungen generell nichts abgewinnen kann, oder weil tatsächlich noch überhaupt nicht klar ist, wohin uns die Reise auf dieser Datenautobahn noch führen wird. Aber deswegen zahlende Spotify-Kunden zu verteufeln, bei der Swisscom und UPC-Cablecom auf Betteltour zu gehen und von der Schweiz als «Urheberrechts-Guantanamo in Europa» zu reden, ist Schwachfug. Der Guantánamo-Vergleich ist so doof, dass man sich fragen muss, ob dieses «official statement» überhaupt ernst gemeint ist.

Nehmen wir einmal an, dass dem so ist. Dann weise ich darauf hin, dass ich in letzter Zeit mehr Geld für Musik ausgebe, denn je. Daran ist Spotify schuld. Ich entdecke dort so viel interessante, gute Musik, wie bei den Schweizer Radiosendern seit zwanzig Jahren nicht mehr (Stadtfilter ausgeklammert). Ich höre manchmal auch Musik via Spotify, die ich schon gekauft habe (maege, mit dem ich eine Sendung zum Thema gemacht habe, tut das übrigens auch.)

Leider haben Inhalte in Schweizerdeutsch meist kein globales Publikum

Mit Streaming-Diensten, Youtube, dem iTunes-Store und Amazon-MP3 erreicht man (potenziell) ein globales Publikum. Fragt sich, ob das viel nützt. Will jemand in den USA, Japan oder Deutschland (!) Schweizer Musik hören? In den allermeisten Fällen wohl nicht. Das hat mit dem Internet aber nichts zu tun, sondern mit unserer Sprache und unserer Provinzialität.

Ich habe mit den Podcasts und den Youtube-Videos das gleiche Problem: Wenn ich die auf Schweizerdeutsch mache, dann wird es kein Millionenpublikum geben. In Hochdeutsch oder Englisch würde das Produkt seinen «Stallgeruch» und seine Authentizität verlieren. Wir haben drum, so traurig das auch ist, auch im globalen Internet nur lokale Strahlkraft. Das hat mit Spotify nichts zu tun, sondern mit unserem Dasein als Insulaner auf dem schönen Eiland Schweiz.

Weil das so ist, sollte man Ideen wie die Kultur-Flatrate nicht vornherein abtun. Zu Ende gedacht scheint mir die auch nicht, aber ich schliesse nicht aus, dass in naher Zukunft ein Konzept dabei herausschaut, bei dem Kulturschaffende auf ihre Kosten kommen und die Konsumenten ihre Medieninhalte so frei konsumieren können, wie das die digitalen Medien nun einmal nahe legen. Vielleicht lässt sich dannzumal sogar ein Podcast wie den seligen Digitalk finanzieren?

Nachtrag vom 25. Mai

Einigen ist aufgefallen, dass die rund 20 kritischen bis sehr kritischen Kommentare zum Statement der Musikschaffenden gestern Abend verschwunden sind. Auch die Kommentarfunktion ist nicht mehr da. So kann man natürlich auch eine Diskussion führen. #not

Ergänzung dazu

David Herzog hat die Kommentare verdienstvollerweise gesichert und in seinem Blog Asyl angeboten.

One thought on “Noch alle Platten im Regal?

  1. Ich bin 100prozentig mit Dir einig. Was mich zusätzlich stört ist, dass a l l e Internetbenutzer in den gleichen Topf geworfen werden. Dieses Klagelied hat auch mich zu einem Blogbeitrag veranlasst.

    SUISA kann als Mafia bezeichnet werden. Deren Methoden werden wohl gerne kopiert und verfeinert.

Kommentar verfassen