Laudatio auf einen alten Sack

Du hast deine besten Tage hinter dir – du quietsch­bun­ter, so frech wie ein Kinder­spiel­zeug wir­ken­der, auf Multi­media und Inter­net getrimmter PC-Vete­ran, bei dem es seit Service Pack 3 bergab geht.

Steve Ballmer… und nein, er ist nicht der im Titel erwähnte alte Sack. (Le Ballmer von Jesús Gorriti/Flickr.com, CC BY-SA 2.0)

Es ist doch erstaunlich, wie gut du dich gehalten hast. Dein Plastik-Look – er ist nicht spröde oder brüchig geworden, sondern sieht noch immer so ramschig und Toys«R»Us-mässig aus, wie vor 10 Jahren, als du der staunenden Anwenderschaft vorgestellt wurdest.

«Liebe geht über den Desktop», könnten sich Microsofts Entwickler gesagt haben, als sie für Windows XP die neue Oberfläche entwarfen. Luna, so der Codename des Erscheinungsbildes, gibt dem Bildschirmschreibtisch ein knalliges Aussehen. (TA vom 22.10.2001)

Genetisch vorbelastet

Gut, natürlich, damals waren wir uns alle den mausgrauen Look von Windows 2000 oder den ebenso mausgrauen Look von Windows ME gewohnt. Du warst frisch und neu, solltest viel sicherer und multimedialer sein (du warst etwas multimedialer und kein Stück sicherer – ganz im Gegenteil).

Unter der Motorhaube hält Windows XP Neuerungen von unbestrittener Güte bereit. Zum ersten Mal kommen auch Heimanwender in den Genuss eines Betriebssystems ohne Altlasten aus grauer Informatikvorzeit.

… hat selbiger Journalist damals behauptet und sieht sich widerlegt. Natürlich wurde gewisser alter Code entfernt, aber es war nicht so, dass du, lieber Jubilar, frei von genetischer Prägung gewesen wärst. Im Gegenteil; du hast ein ziemlich sperriges Naturell mitbekommen. Und diverse typische Merkmale deines Sippe – den verwachsenen Internet Explorer und den noch nicht einmal per Skalpell entfernbaren Media Player, um nur zwei zu nennen.

Dein Einstand in der Welt der Computerbetriebssysteme verlief nicht reibungslos. Obwohl man dich als sicher angepriesen hatte…

«Selbst gegenüber dem zuverlässigen Windows 2000 hat Windows XP nochmals an Robustheit zugelegt», bekräftigt Peter Wermelinger von Microsoft Schweiz.

Deine Eltern haben dich abgeschrieben

… wurdest du bald von Malware geplagt, schlimmer als ein Hosenscheisser, der gleichzeitig von Mumps, Röteln und wilden Blattern geplagt wird. Und die Kinderkrankheiten wollten und wollten nicht vorbeigehen: Service Pack 1 hast du abgekriegt, und das Service Pack 2. Erst mit dem Service Pack 3 wurde es besser. Ein bisschen.

Deine Eltern… tja, was soll man dazu sagen. Sie haben dich abgeschrieben. Microsoft wollte heute noch nicht einmal an deinen Ehrentag erinnern. Man schämt sich nicht gerade, aber man möchte, dass du deinem jüngsten Bruder namens Windows 7 Platz machst. Aber daran denkst du nicht, du sturer Bock.

Und wieso solltest du auch? Die Anwender lieben dich, trotz allen deinen Marotten, obwohl du einen etwas zurückgebliebenen Eindruck machst und nichts mit dem am Hut hast, worauf die Kids mit ihren iPhones und Gadgets heute so abfahren. Ja, die Anwender halten dir die Treue. Mehr als fünfzig Prozent Marktanteil hast du noch immer, und wenn man dich in zwei Jahren endgültig in Pension schickt, wird lautes Wehklagen sein – wir wissen es schon jetzt.

Du hast zu oft blau gemacht

Darum, Windows XP, herzliche Gratulation zu deinem Geburtstag. Du warst eine echte Pain in the butt. Sportlich genauso eine Pfeife wie deine Brüder – frisch installiert hast du zwar immer den Eindruck erweckt, du hättest Kondition und Leistungsbereitschaft. Doch mit den Tagen und Wochen und den vielen Updates wurdest du träge und faul und hast auch oft Blau gemacht.

Echt, es ist eigentlich komplett unverständlich, warum dich all die Leute, die dich beherbergen, nicht schon längst mit einem Tritt in den Arsch vor die Tür gesetzt haben. Wahrscheinlich ist es einfach so, dass du inzwischen das vertraute Gesicht bist, an das man sich gewöhnt hat. Jetzt, wo sich die Welt doch so rasant verändert, bist du da.

Du bist oft ein wenig eingeschränkt oder hast keine Konnektivität

Pummelig, unattraktiv, faul und unzuverlässig – aber du bist halt da und gibst und ein Gefühl der Vertrautheit, auch wenn du oft genug unverständliches Zeug vor dich hinbrabbelst und im Kontakt mit dem Menschen alles andere als charmant oder kommunikativ rüberkommst. Der Durchschnittsmensch versteht dich nicht, wenn du Wortbrocken wie «eingeschränkte oder keine Konnektivität» oder «auf dem Desktop befinden sich nicht verwendete Objekte» in gelben Sprechblasen über dir aufsteigen lässt. Viele würden dir dann am liebsten die Fresse polieren, in der Hoffnung, dass du dich endlich vernünftig ausdrückst.

Aber es würde nichts bringen. Du bist, wie du bist und auf deine alten Tage wird dich niemand mehr ändern. Und das ist auch gut so. Jeder hat seine Zeit. Du hast noch zwei Jahre. Geniesse sie und geh deiner Peer-Group noch einmal so richtig auf den Sack!

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