Den Stecker gezogen

Der Kanton Zürich stellt den Versuch mit der elektro­nischen Stimm­ab­ga­be (E-Voting) ein. Der angeb­liche Grund ist die geringe Akzep­tanz beim Stimm­volk. Vermutlich waren es eher die hohen Kosten und viel­leicht auch Be­denken bei der Sicherheit, die zum Ende ge­führt haben.

In den Wahlunterlagen für die Kantons- und Regierungsratswahlen im Kanton Zürich vom 3. April 2011 fand sich dieses Zettelchen in schmuckem Magenta:

Natürlich würde man auch gern etwas über die Gründe erfahren. In einem Artikel im Der Landbote steht Folgendes:

Aus Sicherheitsgründen kann bei den (gemeindeübergreifenden) Wahlen seit 2010 nämlich nicht mehr elektronisch abgestimmt werden. Weil dieses Jahr, je nach Gemeinde, bis zu sechs von sieben Abstimmungstermine Wahltermine sind, wollte man den Stimmbürgern das Hin und Her ersparen. «Die Situation wäre zu verwirrlich», sagt etwa der Gemeideschreiber von Männedorf, Hannes Friess, auf Anfrage. (Der Landbote, 15.01.2011, Seite 27)

Dumme Stimmbürger?

Wirklich? Wäre der Stimmbürger wirklich überfordert, wenn in den Unterlagen ein Zettel in schmuckem Magenta beiliegen würde, auf dem stehen könnte: «Elektronische Stimmabgabe bei diesem Wahlgang aus technischen Gründen nicht möglich»? Ich glaube nicht.

Im Tagi steht nebst dem gleichen noch ein anderer Grund:

Kritischer tönt es aus dem Statistischen Amt des Kantons Zürich, das den E-Voting-Test durchführte. Laut Giampiero Beroggi, dem Leiter des Amtes, ist man unzufrieden mit der Entwicklung der Versuchsphase. «Zum einen beschränkt der Bund die Beteiligung am E-Voting auf 10 Prozent der Stimmberechtigten, zum anderen haben nur etwas über 10 Prozent der zugelassenen E-Voting-Wähler ihre Stimme tatsächlich elektronisch abgegeben. Die briefliche Stimmabgabe wurde rund dreimal so oft gebraucht», so Beroggi. (Tages-Anzeiger, 15.01.2011, Seite 21)

Die erleichterte briefliche Stimmabgabe wurde im Oktober 1994 eingeführt (vorher war die Briefwahl per Gesuch möglich) und vier Jahre später haben im Kanton Zürich, laut diesem PDF rund vierzig Prozent brieflich gestimmt. In einigen Kantonen (Schaffhausen, Tessin, Waadt, Wallis, Neuenburg und Jura) waren es unter zehn Prozent, in Basel-Stadt und Genf waren es hingegen um die 90. Das deutet darauf hin, dass die Umstände der Einführung eine sehr grosse Rolle spielen, wie eine neue Abstimmungsmöglichkeit genutzt wird. Und generell braucht es seine Zeit, bis eine neue Methode von den Stimmberechtigten akzeptiert und genutzt wird.

Ich weiss nicht, welche Beteiligung Beroggi als ausreichend angesehen hätte, aber ich finde die zehn Prozent in Ordnung. Zum einen gibt es mit der brieflichen Stimmabgabe eine gute Alternative zum wortwörtlichen Gang an die Urne. Zum anderen wurde die elektronische Stimmabgabe immer als Versuch bezeichnet und dem Stimmbürger nicht ausreichend, bzw. gar nicht schmackhaft gemacht. Ist doch klar, dass da erst einmal nur die Technikfreaks anspringen.

Beroggi wird im Tagesanzeiger ausserdem wie folgt zitiert:

Er selber würde das Angebot in seiner heutigen Form auch nicht unbedingt nutzen. E-Voting sei gegenwärtig noch zu eingeschränkt, umständlich und zeitintensiv.

Das fand ich nicht. Aber wenn es so wäre: Statt abschaffen hätte man das System vereinfachen können?

Wie im statistischen Amt gerechnet wird

Den Pudels Kern hat aber die NZZ am Sonntag entdeckt:

Das bei beeindruckenden Kosten für Zürich: Umgerechnet kostet laut Beroggi jede einzelne elektronisch abgegebene Stimme eines Inlandschweizers 50, diejenige eines Auslandschweizers 150 Franken. Das stehe in keinem Verhältnis zum Ertrag, auch wenn die Kosten bei steigenden Nutzerzahlen sinken würden. (NZZ am Sonntag, 05.12.2010, Seite 16)

Es geht, natürlich, ums Geld. Kritisieren muss man bei dieser Argumentation, dass die Kosten natürlich hoch sind, wenn man sie pro Kopf ausrechnet und die Beteiligung gering ist. Man hätte, ich sag es nochmals, den Versuch unternehmen müssen, die Leute fürs elektronische Abstimmen zu begeistern.

Kritisieren muss man auch, dass der Versuch vorzeitig abgebrochen wurde. Ich gehe davon aus, dass die Anfangsinvestitionen für die Computersysteme hoch waren und die Betriebskosten für einen einzelnen Abstimmungsvorgang im Vergleich nicht gross ins Gewicht fallen. Da hätten ein paar weitere Abstimmungen die Kosten pro Stimme wohl deutlich gesenkt. Ausserdem: Wie viel Geld spart das elektronische Abstimmen bei der Auszählung? (Wie ich als ehemaliger Stimmenzähler weiss: Die Entlohnung ist fürstlich! *g*) Und womöglich gäbe es auch bei den Systemen noch Sparpotential. Fragt mal bei Google an der Brandschenkestrasse, die machen es sicher günstiger.

Das IKT-Mekka liegt nicht am Zürisee

Kurz: Ich halte die Argumentation Statistischen Amtes Zürich nicht für schlüssig. Ich habe die elektronische Stimmabgabe gern genutzt. Ich halte sie für zukunftsweisend, und so richtig Zeit sparen würde man, wenn man seine Smartvote-Empfehlungen per Knopfdruck in den elektronischen Wahlzettel übernehmen, dort per Maus noch ein bisschen anpassen und dann gleich losschicken könnte.

Jetzt, wo Zürich sich als Mekka der Informations- und Kommunikationstechnologie gebärdet (siehe TA vom 3.11.10, Seite 16f), hätte man etwas mehr Durchhaltewillen zeigen müssen. Aber vielleicht liegt das wahre IKT-Mekka nicht am Züri-, sondern am Greifensee, wo die 80-jährigen Computercracks das elektronische Abstimmungsbaby noch mit links schaukeln?

Aber …

Zu einer Art Hochburg der elektronisch Stimmenden hatte sich Maur entwickelt. Hier votierten zwischen 2008 und 2010 durchschnittlich 28 Prozent der Stimmenden per Mausklick, darunter laut Gemeindeschreiber Markus Gossweiler jeweils fast 20 Personen im Alter über 80. (Neue Zürcher Zeitung, 08.03.2011, Seite 17)

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