Schleichpropaganda im grossen Stil

Ist es okay, wenn in den USA unzählige Fernsehsender gute Stimmung für eine Sache machen – selbst wen es eine gute Sache ist?

In den USA soll die ehrenamtliche Arbeit gefördert werden. Dafür gibt es Websites wie iparticipate.org. Beim Militär, im Gesundheitswesen, Bildung, Altenpflege, beim Tierschutz kann man sich engagieren. Das klingt erst einmal nicht schlecht.

Was mir die Haare zu Berge stehen lässt, ist die Pressemeldung der Entertainment Industry Foundation (EIF):

From October 19-25, More Than 60 Network TV Shows To Spotlight The Power and Personal Benefits of Service (Quelle)

Vom 19. bis zum 25. Oktober, also noch bis übermorgen, werden in über sechzig Fernsehsendungen die Freiwilligenarbeit propagieren. Das Ziel ist laut der Meldung, Millionen von Amis dazu zu bringen, sich unentgeltlich für die Gemeinschaft einzusetzen. Mit mehr als fragwürdigen Mitteln.

Morgan Freeman tritt in einem Werbespot auf und fordert Leute auf, sich in der Gesundheitspflege zu engagieren. Matthew McConaughey will auf gleichem Weg etwas für die Veteranen tun.

Amerika zu einem besseren Ort machen

Auch Faith Hill ist mit dabei, die etwas schwammig formuliert «Amerika zu einem besseren Ort» machen will. Aber längst nicht nur Werbespots transportieren diese Botschaft, die Freiwilligenarbeit kommt auch unzähligen Serien und Unterhaltungsshows vor. Hier die Liste von eifoundation.org:

ABC: All My Children, America’s Funniest Home Videos, Brothers and Sisters, Castle, Cougar Town, Dancing With The Stars, Desperate Housewives, Extreme Makeover: Home Edition, Flash Forward, General Hospital, Good Morning America, Grey’s Anatomy, Hank, Jimmy Kimmel Live, Modern Family, One Life To Live, Private Practice, The Forgotten, The Middle, The View, Ugly Betty
CBS: Cold Case, Criminal Minds, CSI: Miami, CSI: NY, Gary Unmarried, Ghost Whisperer, Numb3rs
FOX: America’s Most Wanted, Bones, Brothers, COPS, So You Think You Can Dance, Til Death
NBC: 30 Rock, Access Hollywood, Community, Days of Our Lives, Heroes, Parks and Recreation, The Biggest Loser, The Office, Today Show (Quelle)

Ich frage mich, wie man Freiwilligenarbeit sinnvollerweise in einer Sendung wie «America’s Funniest Home Videos» thematisieren kann, ohne der Sache einen Bärendienst zu erweisen. Ich habe mangels Empfangsmöglichkeit für amerikanisches Fernsehen mir kein eigenes Bild machen können, aber an dieser Aktion selbst finde ich zwei Dinge erschütternd:

Eine Botschaft auf unzähligen Kanälen

Zum einen den Umstand, dass es offenbar möglich ist, eine Botschaft als konzertierte Aktion auf allen grossen amerikanischen Fernsehketten zu platzieren, und zwar nicht nur in den Werbeslots, sondern mitten im Programm. Das ist nichts anderes als zentral gesteuerte Propaganda. Das scheint mir nicht pluralistisch und gefährlich für eine Demokratie.

Zum anderen halte ich es für höchst fragwürdig, Unterhaltungssendungen zu instrumentalisieren. Die Botschaft, dass man gefälligst seinen egoistischen Arsch hochkriegen und was für die Allgemeinheit tun sollte, wird von Stars und Promis überbracht. Ich stelle mir vor, dass selbige auch nett und unauffällig in die Handlung eingeflochten ist: Eine subkutan verabreichte Aufforderung zum Gutsein. Nennt man das nicht Schleichwerbung – beziehungsweise müsste man es nicht präzise Schleichpropaganda nennen?

Ginge das nicht auch offen?

Was kann man daraus schliessen? Wiederum zwei Dinge, wie mir scheint:

Entweder ist die amerikanische Nation nicht mündig und aufgeklärt genug, dass man sie über gute Argumente und offen als Werbung deklariert in den Spots mit Freeman, McConaughey und Hill erreicht. Die Spots werden entweder nicht wahrgenommen, nicht verstanden oder als nicht wirkungsvoll erachtet. Das wäre dann ein Akt der Verzweiflung, weil das Fernsehvolk inzwischen in Ignoranz und/oder Lethargie versunken ist.

Oder man hat einfach keine Probleme damit, zu manipulativen Methoden zu greifen. Vielleicht, weil der gute Zweck die Mittel heiligt? Wenn man das so sieht, kann man auch gleich die passende Gehirnwäsche im Kindergarten für obligatorisch erklären.

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